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„Rumänien – eine Reise wert“ oder „Der Wert einer Rumänienreise“ -Oktober 1998

Im Auftrag der Kirchgemeinde Neudietendorf sollte auch 1998 wieder ein Hilfstransport nach Rumänien gebracht werden. Eine intensive Pionierarbeit für Vorhaben dieser Art wurde in den vergangenen Jahren, beginnend noch in der Vorwendezeit, in aller Unauffälligkeit und Stille von einzelnen Familien und sich angesprochen gefühlten Menschen aus Neudietendorf und Umgebung geleistet. So stand auch in diesem Jahr der Termin vom 4. - 11. 0ktober an. Organisatorische Probleme ließen die Spannung wachsen. Schließlich entschied sich die ungarische Botschaft zum „Ja“ und auch das Auto vom Diakonischen Werk in Zerbst war soweit behandelt, dass sich die Motorkraft auf die Räder übertrug.

In Vorbereitung dieser Fahrt wurden viele in der Kleiderkammer der Kirchgemeinde gesammelten Textilien in Kartons verpackt. Mit einem schwerlich auszudrückenden Aufwand sammelten in Neudietendorf einige „Verbündete“ Geldspenden, ohne die diese Fahrt gar nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere seien hier Frau Wuchold und Frau Daniel erwähnt, die dabei unbeirrbar ihren Weg treu und immer wieder antraten. Zusätzlich war es uns dann ab Freitagmittag noch möglich, Geld- und Naturalspenden im Wert von eintausend Mark von Geschäftsleuten und Einzelpersonen zu bekommen.

Dies alles verpackt und mit den Gaben des Erntedankfestes komplettiert, treten wir am Abend des 4. Oktober die Reise an. Unsere beiden Fahrer begleitet Loredana Habermann auf der Fahrt in ihre Heimat. Gemeinsam mit drei weiteren Kleinbussen der Kirchgemeinde Molschleben starten wir zu einer, wie sich viel später herausstellte, dreißig Stunden dauernden Fahrt, fast nonstop.

Nicht endende Zollbearbeitungszeiten lassen uns bald zu der Einsicht kommen, dass in fremden Ländern doch auch andere Prioritäten herrschen, denn es fehlen plötzlich irgendwelche Nummern, der Schichtwechsel platzt dazwischen und vieles mehr. Ohne die sprachliche Hilfe von Lore würden wir wohl heute noch auf den entsprechenden Stempel warten. Als wir endlich aufgefordert werden, drei vom Zollbeamten gezeigte Kartons zu öffnen, formen sich unsere Ohren wahrscheinlich zu roten Segelscheiben, denn Konserven, 230 kg Mehl und so etwas waren in keiner Ladeliste angegeben. Geschäftliches Treiben unsererseits lässt dann aber die „richtigen“ Kartons zu Füßen der Ordnungshüter erscheinen und endlich wird der Weg ins Land der Rumänen freigegeben. Dienstagmorgen zwei Uhr stehen wir vor unserem Schlafquartier bei Frau Tismonari in der Stadt Temeswar mit einem voll gepackten Auto. Dass dieses so nicht vor einem Plattenbau mitten in der zweitgrößten Stadt des Landes die Nacht über im Freien stehen konnte, war recht schnell klar. Aber wohin damit? In einem Land, dessen „Funktionieren“ hauptsächlich nur noch aus Geschäftemachen und Korruption besteht, ist es nach einer halbstündigen Verhandlung und mittels eines Geldscheines beim Dienst habenden Polizisten möglich, das Fahrzeug im Hof der Polizeistation dem wachsamen Auge des Gesetzes zu überlassen. Die nächsten vier Stunden können wir endlich in aller Ruhe mal wieder schlafen, bis uns die Fahrt an das eigentliche Ziel, ein Kinderheim im siebzig Kilometer entfernten Gavojdia, bringt.

Dieses  staatlich geführte Heim beherbergt 169 elternlose Kinder im Alter von fünf bis achtzehn Jahren. Der von Ceausescu verordnete Geburtenzwang von fünf bis sechs Kindern je Familie löste überall familiäre Katastrophen aus. Die Kinder waren in den Augen des Diktators nur das Mittel zum Zweck der wahnwitzigen Idee zur Industrialisierung und Erstarkung des Landes, während die Versorgung der Bevölkerung mit dem Notwendigsten nicht gesichert war. Morgendliches Anstehen nach einem Stück Brot oder Käse begann um drei Uhr. Da diese Kinder nach dem achtzehnten  Geburtstag das Heim verlassen müssen, endet ihr Weg nicht selten am nicht weit entfernten Bahnübergang mit einem Suizid. Vor diesen Kreuzen zu stehen erzeugt Gefühle, die man beim Verlassen des Landes kaum hinter sich lassen kann.

Im Kinderheim können wir uns dann umsehen. Der dreizehnjährige Knabe mit der Käppiaufschrift „Policia“, anscheinend der „Ordnungsdienst“, zeigt uns gern sein Zimmer, in dem neben sechs Betten und wenigen Kleidungsstücken nichts weiter zu sehen ist. Aufenthaltsräume liegen wahrscheinlich im Hauptgebäude. Die landwirtschaftliche Abteilung, Speiseraum, Nähstube und anderes wird uns gezeigt. Bis zu Verhältnissen, die nur annähernd den unsrigen gleichen, ist es noch ein sehr weiter Weg. Wohltuend ist es zu hören, dass neben unseren Fahrzeugen auf dem Hof schon ein 40-Tonnen-Schwerlastzug aus den Niederlanden zur Entladung bereitstand. Allerdings treibt uns das auch zu der Entscheidung, hier mit einer größeren Menge Mehl und Medikamenten zu helfen und den Rest unserer Ladung anderweitig zur Hilfe werden zu lassen.

Nach vielem Fragen und Suchen führt uns der Weg in Temeswar zur Evangelischen Kirchgemeinde.

Die Frau des Pastors, der gegenwärtig noch Kirchenfinanzen in Dänemark studiert, erzählt nach anfänglicher Vorsicht, dass sie, je nach Möglichkeiten, Kindern und alten Menschen der Stadt mit Kleidung und Mahlzeiten helfen. Grundlage dafür sind auch Orgelkonzerte in der relativ gut erhaltenen Kirche, die sehr an ein Gotteshaus in unseren Breiten erinnert (allerdings ohne den oft anzutreffenden Prunk und Schmuck einer vergleichbaren Großstadtkirche). Diese Orgelkonzerte sind aber in zunehmendem Maße gefährdet, da es über der Königin der Instrumente zu massiven Wassereinbrüchen kommt. Die Lösung dafür wäre eine mit dreitausend Mark bezifferte Dachreparatur, die Summe ist jedoch absolut nicht aufzubringen. Nach einem kurzen Fototermin und einer herzlichen Verabschiedung versprechen wir, dieses Anliegen mitzunehmen und in den Gemeinden zu prüfen, ob oder wie weit dafür geholfen werden kann. Nach einer nun etwas längeren Nachtruhe ist für den nächsten Tag eine Fahrt zu einer Familie im fast zweihundert Kilometer entfernten Hunedoara geplant, zu der schon seit einigen Jahren Verbindungen mit Neudietendorfer Familien bestehen.

Hunedoara ist geprägt von einem riesigen Eisenwerk oder besser gesagt von dem, was davon noch übrig ist, um es nicht als einen einzigen, großen Schrotthaufen zu bezeichnen. Wohl fünf Kilometer abseits dieser Stadt liegt ein eingemeindetes Dörfchen, Racastia, an dessen Anfang das Grundstück 4A zu finden ist. Hier wohnt diese Familie mit Großvater, Eltern und sechs Kindern im Alter von zwei bis sechzehn Jahren. Angekommen, laufen uns zwei kleine Mädchen und der Großvater aus einer der zwei, versteckt hinter Pflaumenbäumen gelegenen Hütten freudestrahlend entgegen. Da der Vater noch im Eisenwerk, die Mutter in der Stadt und die anderen Kinder in der Schule sind, verschaffen wir uns im Ort einige Eindrücke vom dörflichen Leben. Da wundert es schon, wenn die momentan im Ort verlegte Gasleitung nur an Toreinfahrten in das Erdreich versenkt und der Rest „auf Putz“ verlegt wird. Wahrscheinlich hängt es mit dem betonierten Abwassergraben entlang der Dorfstraße zusammen, der sonst wieder zerstört werden müsste. Hühner, die das Dorfgeschehen noch lebendig erscheinen lassen, haben, ihrem Erscheinen nach zu urteilen, den Suppentopf auch schon mal von innen betrachtet. Die massiv errichteten Häuser, deren relativ gleicher Baustil das Dorf prägt, sind meist umgeben von Zäunen, wo jeder Reparaturschlag des Hammers zur unweigerlichen Vernichtung des Bauwerkes führen würde. Natürlich gibt es hier auch, wie überall, Ausnahmen, die allerdings so rar sind, dass sie sich nicht weiter einprägen können. Wieder bei der Familie angekommen, hat einer der Jungen den Vater aus der Fabrik geholt und nach einer kurzen Begrüßung laden wir die Kinder und den Vater wohl zur ersten Autofahrt ihres Lebens ein. Diese Fahrt führt uns zum Grab der Großmutter, die vor fast einem Jahr verstarb. Mit wenigen Blumen geschmückt, einem Blechschild mit mühevoll geschriebenem Namen und einer Einfassung aus aufeinander geschichteten, schon anderweitig verbaut gewesenen Ziegelsteinen, liegt dieses Grab mit zwei anderen abseits des eigentlichen Friedhofes. Die Bauform passt wahrscheinlich nicht in die Öffentlichkeit(?). Danach wieder am Grundstück 4A angekommen, tragen wir mit den Kindern die mitgebrachten Kartons in das größte Zimmer des Hauses, das als Gemeinderaum der Kirchgemeinde dient. Wenn hier das Wort „Haus“ benutzt wird, dann nur deshalb, weil Familie Filip darin wohnt.

Großvaters „Haus“ mit zwei Räumen liegt gegenüber auf dem gleichen Grundstück. Eine lange verlassene und leer stehende Gartenlaube erreicht irgendwann einen derartigen Zustand. Das Schälen der mitgebrachten Bananen und Apfelsinen gleicht einer Knobelaufgabe bei den Kindern, die das wohl nicht oft, wenn überhaupt schon einmal, probiert haben. Einige Lebensmittel, Drogeriewaren und Spielzeug packen wir aus und geben, wo nötig, den Verwendungszweck mit Händen und Füßen bekannt. Wir sehen uns in der Wohnung mit ihrer „Haustechnik“ um und entdecken beim Großvater den einzigen noch betriebsbereiten Gaskocher mit einer funktionierenden Flamme. Wahrscheinlich hat derselbe fast schon ein gleiches Alter wie sein Besitzer. Dann bestaunen wir eine Waschmaschine, deren Inbetriebnahme sich in Deutschland mit Sicherheit niemand mehr wagen würde. Ohne zu glauben, was wir sehen, entdecken wir die Haussicherung, die nur aus einem Draht besteht, und so geht es weiter

Eine junge Frau aus der Nachbarschaft ermöglicht es mit ihren Deutschkenntnissen, dass wir uns, nachdem die Mutter aus der Stadt zurück ist, noch einmal intensiv unterhalten können. Da ist der Werkskredit für das Grabschaufeln der Großmutter, der Kredit zum Kauf von Schulheften für die Kinder, das nicht vorhandene Fahrrad für die Tochter, die in der Stadt Näherin lernt. Abends fährt aber kein Bus zurück; der Ausschlag der kleinen Lavinia, wo die Arztkonsultation einfach zu teuer ist; da ist ein täglicher Pro-Kopf-Betrag von umgerechnet nur 46 Pfennig bei ähnlichen Lebensmittelpreisen wie in Deutschland... Und da steht eine Familie, deren Erzählen einfach ohne jeden Vorwurf ist, in einer unbegreiflichen inneren Stille, in einer Harmonie und Bescheidenheit, die einem Deutschen in kürzester Zeit den Wert menschlichen Lebens deutlich werden lässt. Maßstäbe zum eigentlichen Sein schließen sich auf und die Frage steht im Raum, womit wir es eigentlich „verdient“ haben, woanders geboren worden zu sein.

Mit diesen Gefühlen und Eindrücken treten wir die vierstündige Rückfahrt nach Temeswar an, vorbei an plötzlich in der Dunkelheit auftauchenden Pferdefuhrwerken, beladen mit Maisstroh. Um einige Zentimeter schaffen wir es, ein Hausschwein mitten auf einem Waldweg nicht zu überfahren, Hühner und Gänse flattern aufgeregt davon. Wir erreichen die Stadt mit ihren ewig grauen Plattenbauten, deren Fenster beim Regen die Schuhe nass werden lassen.

Den Donnerstag nutzen wir zu einer Pause und um uns in der Stadt umzusehen - der Stadt, von der 1989 der Umsturz des Regimes ausging. Wir stehen auf Plätzen, wo vor neun Jahren auf tausende Menschen geschossen wurde, sehen die Häuser mit ihren Einschusslöchern, fahren in Straßenbahnen, in die es reinregnet und kaufen dem vierzehnjährigen Enkel unserer Gastgeberin  das erste Paar neue Schuhe aus einem Geschäft.

Mit dem Freitag kommt der Tag der Abreise und  nach achtzehn Stunden treffen wir wieder in Neudietendorf ein, in einem Land der Marktwirtschaft, persönlicher Freiheit und Karriere, einem relativ hohen Wohlstand, einem Land mit für alle bezahlbaren Lebensmitteln, abgesichert durch Kranken-, Lebens-, Unfall-, Renten-, Rechtsschutz- und anderen Versicherungen. Wir kommen aber auch in ein Land, in unsere Dörfer, in denen Menschen die Möglichkeit hatten und bereit waren, uns bei unserem Vorhaben zu unterstützen. Wir sind zurückgekommen mit dem Wunsch, insbesondere der Familie Filip eine Existenz zu ermöglichen. Wir möchten im nächsten Frühjahr, wenn uns Gott hilft, ausgestattet mit finanziellen Mitteln, diese Familie wieder besuchen. Wer meint, uns dabei helfen zu können und zu wollen, kann dies gern mit uns oder mit den Pfarrern aus Neudietendorf und Ingersleben besprechen. Als Beschenkte sind wir zurückgekommen und wissen, dass kein Mitleid allein etwas vermag, sondern nur die Überlegung, was gerechtes Teilen bedeutet und wie es zur tatsächlichen Hilfe werden kann. Wir bedanken uns im Namen derer, die Hilfe erhalten haben, bei Frau Wuchold und bei Frau Daniel aus Neudietendorf und bei allen Spendern in den Kirchgemeinden. Außerdem bedanken wir uns beim Hotel Domizil und der Firma Tanke aus Apfelstädt; der Firma Wolf aus Arnstadt; der Firma Kaiser-Supermarkt und der Mühle Zitzmann aus Ingersleben; der Firma Kellner aus Kornhochheim; dem Frisiersalon A. Hinz aus Menz und nicht zuletzt beim Edeka-Neukauf Grobe, bei der Drogerie Häring, der Fleischerei Herbst, dem Floriness-Blumengeschäft Zießler, dem Getränkeservice U. Krieg, dem Reifenservice O. Böttner; der DEA-Tankstelle in Kornhochheim und auch bei allen, die wir vielleicht unbeabsichtigt vergessen haben.

 

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