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April 2001 Osternachbereitung

Ostermorgen - zwei Uhr, mit der Ankunft an der Autobahnabfahrt Neudietendorf geht der Frühjahrstransport nach Rumänien seinem Ende entgegen. Wohlbehalten kehren wir zurück in unsere gewohnte Umgebung, ein wenig müde nach siebzehn Stunden Fahrt.

Im Ostergottesdienst hören wir dann einige Stunden später von dem beiseite gerollten Stein vor der Grabkammer Jesu; er versperrt nicht mehr den Blick, sondern wie durch eine offene Tür ist die Tatsache der Auferstehung Jesu deutlich vor den Augen derer, die zum Grab kommen und sich noch wenige Minuten vorher in Resignation und tiefstem Glaubenszweifel befanden. Erst nach und nach erfahren sie, was sich mit dem geöffneten Grab alles verbindet und welche Botschaft dieser zur Seite gerollte Stein freisetzt.

Sicher kann man nicht alles theologisch einwandfrei übertragen, aber fest steht, dass auch dieser gerade abgeschlossene Transport wieder einer Fahrt durch geöffnete Türen vergleichbar war. Resignation vor den Problemen dieser Welt angesichts zunehmender Armut und wachsender Fremdenfeindlichkeit bahnt nur den Weg in diese Probleme hinein. Die christliche Osterbotschaft will uns vom Druck der Sinnlosigkeit befreien. Sie macht uns Mut loszulaufen, um dann die weg- gerollten Steine zu entdecken, geöffnete Türen zu finden, hinter denen es zu entdecken gilt, dass unser Laufen nicht umsonst ist, sondern, im Glauben begonnen, gesegnet sein wird.

Das haben wir während der letzten Tage deutlich erfahren dürfen und wollen Sie, die sich zur aktiven Mithilfe, zur stillen Begleitung oder als rein Interessierte ansprechen ließen, hier zu einem kurzen Rückblick einladen. Jeder, der einen solchen Transport schon einmal begleitet hat, weiß, dass solches Erzählen noch weit entfernt ist von der Realität, die zu erleben immer wieder zur unermesslichen Bereicherung wird.

Die Vorbereitungen zur Fahrt waren dieses Mal deutlich kürzer, aber auch nicht so aufwändig. Auflagen rumänischer Behörden zum Transport von Kleidung, Lebensmitteln, Süßigkeiten und elektrischen Geräten haben sich enorm verschärft und erfordern viele Einzellizenzen im Original aus Bukarest. Da aber seit dem 1. Januar dieses Jahres die Visa-Pflicht für Privatreisen entfallen ist, die bisher pro Person siebzig Mark abforderte, entschlossen wir uns zum Kompromiss einer „Privatfahrt“. So starten wir am 5. April nachmittags.

Dank der Erfahrungen vor uns Gereister verstauten wir unser ganzes „Reisegepäck“ in Koffern und Reisetaschen und verzichteten auf die sonst üblichen Bananenkisten und Plastiksäcke. Das überzeugt dann wohl auch jeden Zollbeamten und nach deren kurzen Blick durch die Scheiben kommen wir so schnell wie nie durch die Grenzen hindurch und erreichen nach sieben Uhr Rumänien. In Arad treffen wir uns mit Pastor Kovacs unserer Partnergemeinde aus Temeswar, der hier vorübergehend die deutsche Evangelisch-Lutherische Gemeinde betreut. Gegen Mittag beziehen wir dann im Pfarrhaus nach einer herzlichen Aufnahme unser Quartier.

Dreißig Koffer und Taschen sind nun zu sortieren, da sie ja doch der Tarnung von unter anderem 200 Wienern, 150 Knackern, 200 Tafeln Schokolade und weiteren Süßigkeiten für die Schulkinder in Hunedoara dienen. Werkzeuge, Kalender, Kinderbibeln in rumänischer Sprache, Lebensmittel, Wurstkonserven, Nähmaschinen, Drogeriewaren, Schuhe - alles ist, vorher wohl verpackt in Kleidung, nun freigelegt und wieder sortiert für die einzelnen Stationen und Adressen.

Am Freitagnachmittag sind wir eingeladen, die Reformierte Gemeinde am Rande Temeswars zu besuchen. Dort ist Frau Kovacs als Pastorin tätig. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass diese Gemeinde aufgrund der fehlenden Mittel bisher noch nie das volle Gehalt von einhundert Mark an ihre Pastorin zahlen konnte und für die Arbeit in der Gemeinde auch kaum etwas übrig bleibt. Vorangegangene Besuche dort überzeugten uns aber auch vom engagierten Wirken und Leben der kleinen Gemeinde am Rande der 400.000 Einwohner zählenden Stadt. Deshalb bereiteten wir eine Geldspende zur Unterstützung der Gemeindearbeit im einzigen Zentrum dieses ehemaligen Dorfes vor. Wir sind gespannt, was uns dieses Mal dort erwartet. Als wir die Tür des zur Kirche und Gemeindehaus umgebauten Wohnhauses öffnen, hören wir munteres Reden und Singen in den kleinen Räumen. Beim Eintreten sehen wir uns im Kreis von achtzehn Frauen im Alter von

25 bis 65 Jahren, die Nudeln rollen. Die Geschwindigkeit macht es den Augen fast unmöglich, den Vorgang im Detail zu erfassen. Den von einzelnen Frauen gekneteten, über runde Stäbe dünn ausgerollten und dann in kleine Quadrate geschnittenen Teig rollen andere über eine Stricknadel und ein selbst gebasteltes Reliefbrett mit Streifen zur kaum zwei Zentimeter langen Nudel. Sie erzählen uns freudig, dass sie sich drei Nachmittage pro Woche treffen und so bis zum Sommer noch etwa dreihundert Kilo Nudeln herstellen und im Dorf verkaufen wollen. Mit dem Geld finanzieren sie dann einen Gasanschluss. Mit weiteren Nudelverkäufen bis zum Winter ist beabsichtigt, den Einbau von Heizbrennern in die bestehenden Kachelöfen zu realisieren. Wir sind von diesem Gedanken und von dem, was wir sehen, tief beeindruckt und entschließen uns zum Kauf von vier Kilo fertigen Nudeln. Diese wiegen sie uns aufs Gramm genau ab und nach der ordnungsgemäßen Berechnung des Preises übergeben wir den vorbereiteten Briefumschlag, der den Betrag des Gasanschlusses bereits enthält, ohne das dies so von uns vorher geplant war.

So manche Freudenträne zeugt von der Überraschung. Uns aber überraschen vor allem solche, wie Eingangs erwähnte, offene Türen. Alles war vorbereitet, und zwar nicht von uns. Derartige Begebenheiten erleben wir oft auf unseren Fahrten in dieses Land. Sie machen uns Mut, zeugen sie doch davon, wie hier einfach Gottes Pläne realisiert werden.

Den Samstag nutzen wir, ältere Gemeindeglieder zu besuchen, uns bekannte freuen sich darüber genauso wie Leute, bei denen wir zum ersten Male sind. Alle sprechen noch gut deutsch und sind froh, etwas über sich erzählen zu können, aber auch aus Deutschland etwas zu hören. Immer wieder begegnen uns auch die Fragen, ob das alles stimmt, was man so in den Nachrichten aus Deutschland hört. Meist müssen wir betroffen zustimmen. Wir jedenfalls werden überall, auch ohne Mitbringsel, sehr herzlich empfangen.

Nirgends haben wir Bedenken, als Ausländer erkannt zu werden, was sich auch ohne Worte kaum verhindern lässt. Unsere eigenen Kinder, die uns begleiten, sind überall und während der ganzen Tage ständig umringt und ins Ballspiel oder in Gespräche mit Händen und Füßen integriert.

Nach dem Sonntagsgottesdienst beraten wir mit dem Gemeindekirchenrat über den Einsatz von Spendengeldern. Dieses Mal sollen sie der Reparatur des Deckenputzes über der Orgel dienen.

Durch alte Dachschäden, die ebenfalls durch Spenden der vergangenen Jahre behoben wurden, drohen Teile des Putzes in die Orgel zu fallen. Weiterhin soll die soziale Arbeit der Gemeinde erhalten und gefördert werden. Dankbar ist das Presbyterium, dass diese Arbeit so möglich wird durch Menschen in Deutschland, die diese Gemeinde nicht aus dem Blickwinkel verlieren.

Am Montag führt uns der Weg nach einem kurzen Marktaufenthalt zwecks des gewohnten Bananen- und Apfelsineneinkaufs wieder nach Hunedoara. Neben unseren Freunden warten dort in dem eingemeindeten Dorf am Rande der kilometerlangen Industriebrache wieder die Kinder der kleinen Schule und des Kindergartens mit den übrigen Kindern des Ortes auf unseren Besuch. Trotz Ferien sind dieses Mal so viele Kinder in der Schule versammelt, dass wir sie in zwei Gruppen teilen müssen. Wir erzählen von der Fahrt, von der Stillung des Sturmes aus dem Markusevangelium und davon, dass wir dieses Mal nicht so viele Dinge für die Schule mitbringen konnten, da wir sogar die Schokolade zwischen den Strümpfen verstecken mussten.

Als dann so mancher ein wenig traurig mit den großen Augen dreinschaut, tröstet ihn doch die Zusage, dass wir genügend „Strümpfe“ eingepackt haben. Die vorbereiteten Tüten mit den Wienern, Knackern, Schokolade, anderen Süßigkeiten, dem Obst, einem Kalender und einer Kinderbibel sind schnell verteilt und genau so schnell geht die Sonne in den Gesichtern der Kinder und deren Eltern richtig auf. Wir erzählen von den Kindern aus den Neudietendorfer Grund- und Regelschulen, die das ermöglichten und so auch diesen Kindern eine Osterüberraschung bereitet haben. Mit einem Elternkreis besprechen wir die Verwendung von 1000,00 DM als Spende des Gymnasiums und dessen Fördervereins. Hier sollen nun die bereits finanzierten und im Winter erstmals benutzen Toiletten räumlich abgetrennt werden. Der Restbetrag wird für Unterrichtsmaterialien Verwendung finden.

Mit den Kindern unserer Freunde unternehmen wir noch zwei Ausflüge. Sie sind, wie die meisten Leute des Dorfes, bisher kaum aus ihrer Umgebung herausgekommen. Bevor es losgeht, müssen wir ihnen jedoch erst ein paar Schuhe kaufen. Die Löcher vorn im einzigen alten Paar sind fast so groß sind wie der Einstieg. Wir lernen die herrliche Landschaft Siebenbürgens kennen, bereisen mit kurzen Aufenthalten Sibiu (Herrmannstadt) und Sighisoara (Schäßburg), Biertan und Valea Viilor. Inmitten mittelalterlicher Bausubstanz schauen wir uns die Häuser, Kirchen und Kirchenburgen mit Wehrtürmen und Mauern aus den Zeiten der Belagerungen an. Immer wieder treffen wir Menschen, die uns herzlich und in gutem Deutsch begrüßen. Aber auch andere grüßen uns freundlich und reichen uns beim Warten in einer heimtreibenden Schafherde eines ihrer Lämmer durch die offene Scheibe ins Auto mit der Aufforderung, „Bussi“ zu geben. Beim Essen in einer kleinen Gaststätte erklären wir unseren jungen rumänischen Begleitern den Umgang mit dem Messer zum Schneiden des Fleisches und müssen so erkennen, dass sie nicht nur das erste Mal in einer Gaststätte sitzen, sondern auch das erste Mal eine solche Scheibe Fleisch vor sich haben. Während der Heimfahrt erleben wir einen herrlichen Sonnenuntergang über der einstigen Industriehölle von Copsa Mica, deren Fabrikgebäude und Häuser im absoluten Schwarz von dem öligen Ruß und Qualm einer stillgelegten Gummiindustrie zeugen.

Schwer ist am nächsten Morgen wieder der Abschied, aber auch für unsere Freunde wird es wieder ein wenig stabiler weitergehen können, sie müssen sonst von achtzig Mark im Monat mit acht Personen leben. Wie das funktionieren soll, wenn allein die Lebensmittelpreise teilweise höher sind als bei uns in Deutschland, wird uns noch lange als Geheimnis erhalten bleiben. Für die Rückfahrt haben wir einen Abstecher in den nahe gelegenen Nationalpark des Retezatgebirges geplant. Bis in ca. 1600 Höhenmeter führen uns die Serpentinen auf den letzten zehn Kilometern, bis wir auf der Staumauer eines sich wohl noch viele Jahre füllenden Stausees stehen. Vor uns liegen die Zweieinhalbtausender, die hohen schneebedeckten Gipfel des Gebirges in atemberaubender Schönheit. Wir genießen diesen Anblick gern und ausgiebig.

Auf der Rückfahrt sehen wir uns einige Holzhütten am Wege genauer an und entgegenkommende Kinder zeugen davon, dass sie bewohnt sind. Einige Süßigkeiten haben wir noch für solche „Notfälle“, auch wenn es keine Hilfen sind. Ein Leben hier können wir uns noch schwerer vorstellen als alles bisher Erlebte. Strahlende Kinder und deren junge Eltern winken uns freudig nach. Wer über diese nur im Vorüberfahren gesehenen „Bilder“ nachdenkt, dem vergeht erstmal der Appetit auf Osterhasen und Sonntagsbraten.

Wieder in Temeswar angekommen, machen wir noch eine Runde durch die Stadt, die sich auch auf Ostern vorbereitet. Die mit endlosen Ostersüßigkeiten gefüllten Regale finden wir, trotz des auch relativ hochwertigen Angebotes in dieser Stadt, nicht.

Die Botschaft des Karfreitags im Gottesdienst verbindet ungarische, rumänische und deutsche Christen unter dem einen Kreuz beim Abendmahl.

Mit vielen neuen Eindrücken, herzlichen Dankesgrüßen und einigen Tropfen Wehmut nehmen wir am Samstag, nach dem Frühstück am für uns wieder reich gedeckten Tisch, Abschied. Durch die uns übergeben Spendengelder, die vielen Süßigkeiten und die Gelder der Schulen, die Würste der Löblein GmbH aus Gotha und denen der Thüfleiwa aus Apolda, den vielen einzelnen Dingen und nicht zuletzt dem Dieselgutschein der DEA-Tankstelle aus Kornhochheim konnten wir diese Grüße überbringen.

Eines ist uns wieder ganz klar geworden: Wir wollen weiterhin tätig darüber nachdenken, wie wir helfen können an Stellen, wo Hilfe Not tut, oft zum bloßen Überleben. Das Wissen darum, dass unser Wohlstand oft auf der Armut anderer beruht, fordert uns neu heraus. Das Wenige, dass wir tun können in Blick auf die Armut vieler Menschen, hilft im Einzelfall trotzdem oft viel. Wir möchten Ihnen, die sich mit unserer Arbeit verbunden wissen, „Danke“ sagen, auch in der Hoffnung, es weiter tun zu können.

 

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