April 2003 - Von Dächern, Schulmaterial, einem Kinderfest und einem Plan
Mit dem Monat Mai näherte sich wieder der Termin unserer Frühjahrsreise nach Rumänien. Als am 30. April von der Hecktür des voll gepackten Kleinbusses der Griff abgeschraubt war, ließ sich diese auch schließen und die Vorbereitungen waren damit abgeschlossen. Zu viert starten wir am Nachmittag mit vielen kleineren und größeren Hilfen, Überraschungen und Vorbereitungen im Gepäck, im Herzen mit einer großen Freude auf die kommenden neun Tage. Die Fahrt verläuft problemlos und auch an den Grenzen begegnen uns nur freundliche Worte. Hier scheit sich doch einiges zu tun, erinnern wir uns doch gerade dabei an schwere Schikanen der vergangenen Jahre.
Über eine großzügige Spende des Martin-Luther-Bundes für die Renovierung des maroden Pfarrhausdaches konnten wir schon vor der Fahrt unserer Partnergemeinde in Temeswar berichten. Wir waren darüber mindestens genau so sehr überrascht wie die Gemeinde und hatten nun das Geld mit im Gepäck.
Nach unserer Ankunft am nächsten Tag gegen 11.00 Uhr können wir das Auto vorerst noch nicht, wie gewohnt, in der Toreinfahrt parken. Palettenweise stehen dort schon die neuen Ziegel und Dachlatten, während draußen einige Arbeiter mit einer Art Aufzug das Material auf den Dachboden befördern. Die Temeswarer Tageszeitung schrieb einige Tage später unter ein Foto von diesem Aufzug: „So oder so ähnlich wurden wohl auch die Pyramiden erbaut.“ Wir lachen herzlich darüber, wissen wir doch, dass sie noch heute als Zeugen solider Bautätigkeit erhalten sind.
Pfarrer Kovacs organisierte nach unserer telefonischen Bestätigung zum Erhalt der Finanzspritze alle Arbeiten und den Materialeinkauf. Sofort begannen die Arbeiten. Heute kommt mit uns auch das Geld dafür an und alles gegenseitige Vertrauen ist gerechtfertigt. Täglich zwölf Stunden arbeiten die drei oder vier Leute aus der Gemeinde trotz der Hitze mit 31 - 38 Grad im Schatten für einen Stundenlohn, für den sich in unseren Breiten wahrscheinlich niemand nur die Schuhe angezogen hätte. Aber sie haben für einige Wochen eine bezahlte Arbeit und das war für die Arbeiter wichtig. Mit einem Tageslohn von sieben Euro liegt er weit über dem, was viele Menschen im Land durch reguläre Arbeit verdienen.
Die Aufnahme und Begrüßung ist für alle, auch für die beiden Erstreisenden, wieder herzlich. Nach der landestypischen Ciorba, einer Suppe, und etwas Schlaf wird das Auto ausgeräumt. Pakete und Gepäck sortieren wir und die für Temeswar bestimmten Dinge fischen wir heraus. Es sind im wesentlichen Lebensmittel für alte und kranke Gemeindeglieder, Süßigkeiten für die Kinder der Gemeinde, Kalender, Bücher und Medikamente für die Arztstube. Viel leerer ist das Auto nach dem erneuten Beladen scheinbar nicht geworden. Weitere Stationen warten noch auf uns.
Jetzt beginnt erst einmal der obligatorische Gang durch die Stadt. Was es neues gibt? Nach fünf Jahren ist endlich das große Gerüst von einem städtischen Gebäude auf dem Domplatz verschwunden. Die Stadt sieht sauberer aus und die Grünanlagen im Zentrum sind wieder schön gepflegt. In den Geschäften ist ein gutes Angebot aller nur erdenklichen Dinge zu finden. Beim näheren Hinsehen und mühsamen Umrechnen kostet nun der Liter Speiseöl als wichtigstes Grundnahrungsmittel über einen Euro. Im Allgemeinen scheint auch der „Fortschritt“ der Preisbildung gewaltig zu sein, nur die Bezahlung von Arbeit und Rente stagnieren nach wie vor. Kaum ein Medikament gibt es mehr kostenlos. Wofür die Krankenkassenbeiträge, automatisch vom Lohn abgezogen, verwendet werden, weiß wohl bloß die kleine Gruppe Lenkungspersonal des Landes wirklich.
Selbst der Arzt, der in der Gemeinde die Arztstube und dort die Gemeindeglieder unentgeltlich betreut, muss für sein neun Monate altes Kind alle Medikamente, wenn überhaupt verfügbar, selbst kaufen. Er freut sich über alles, was wir mit dabei haben - Herz- und Kreislaufmittel, Antibiotika, Fieber-, Schmerz- und Erkältungsmedikamente, Antidepressiva und einiges mehr. „Es war noch nie so schlecht für die einfachen Menschen wie im Moment.“ Das ist ein Tenor, den wir bei allen Besuchen, die wir wieder machen, mit vielen Beispielen aufgezeigt bekommen.
Zwei ältere Damen, Mutter und Tochter, beide blind, besuchen wir zum ersten Mal. Eine junge Frau aus dem Block hilft ihnen bei der Hauswirtschaft. Sie gehören auch zur Kirchgemeinde und nach anfänglicher Scheu leuchten ihre trüben Augen doch vor Freude über unseren Besuch.
Frau Barthelf und Frau Gindel freuen sich ebenso und wir versuchen vergeblich zu verstehen, wie das tägliche Leben für sie zu bewältigen ist. „Mit Gottvertrauen!“ sagen sie uns alle.
Wir wissen, dass wir mit den Besuchen erst am Anfang unserer Reise stehen und dass noch manches auf uns wartet, was ungleich schwerer zu begreifen sein wird, wenn überhaupt.
Im Sonntagsgottesdienst überbringen wir die Grüße unserer Gemeinden mit einer Kerze. Kleine Lichtzeichen wollen wir immer wieder mitbringen, und viele Augen leuchten auch schon ein wenig. Gleich am Sonntagnachmittag geht die Fahrt weiter nach Hunedoara.
Unsere Freunde warten schon, die Familien sind um zwei Kinder größer geworden. Die Sonne meint es schon die ganzen Tage gut mit stabilen fünfunddreißig Grad. Dank vieler Hände sind die vierzig Beutel für die Schulkinder schnell gepackt. Und so beginnt nach den Osterferien für die Schüler die Schule wieder mit einem Feiertag. Einen Tag nach dem orthodoxen Osterfest in Rumänien kommen Osterhasen, bunte Eier und andere Leckereien gerade recht. Neugierig verschwinden die Köpfe in den Edekatüten mit den Realmarktsüßigkeiten und uns wird aufs Neue bewusst, dass nicht in Konkurrenz, sondern im Miteinander der Schlüssel zur Freude liegt.
Bei Kaffee und Kuchen erzählen uns die Lehrerin und die Kindergärtnerin von der Arbeit und von ihrem Bemühen, ohne staatliche Hilfen den Unterricht noch anschaulich und erfassbar zu gestalten. Kataloge von vorgeschriebenen Lehrmaterialien stehen westlichen Vorlagen in nichts nach. Aber der Umstand, dass auch diese Karten und Arbeitshefte von den Eltern zu bezahlen sind, wo es oft nicht für Stifte und Schreibhefte reicht, ist nur schwer verdaulich. Gemeinsam rechnen wir zusammen und können mit fünfzig Euro die nötigsten Materialien bezahlen.
Der Kindergarten erhält ebenso Mal- und Bastelmaterial, sehen wir doch, wie sich die Räume von mal zu mal verändern und die Kinder sie immer schöner ausgestalten. Bei zwei Kindern können wir noch die total zerrissenen Rucksäcke gegen neue Schulranzen tauschen und aus fröhlichen Gesichtern kommt das „Multumesc“. Wir verstehen das „Danke“ und geben es gern weiter. Weiter geht auch die Fahrt gleich nach dem Schulbesuch.
Zweieinhalb Tage beabsichtigen wir im kleinen Retezatort Balanu zu bleiben. Vieles liegt noch vor uns, das wissen wir. Besonders dieser Besuch ist nun ein halbes Jahr in unseren Köpfen und Herzen vorbereitet worden. Auch auf der besten Rumänienkarte ist dieser Ort nicht mehr verzeichnet, es könnte ihn ja jemand finden. Drei unserer Freunde begleiten uns und nach knapp zwei Stunden kommen wir an.
Die alten Holzhütten sind die gleichen geblieben, der Weg, noch etwas schlechter geworden, endlich geschafft, und bei weiter anhaltender Hitze klebt alles am Körper. Familie Leon hat die Hofeinfahrt verbreitert. So brauchen wir heute zum ersten Mal den Kleinbus nicht mehr mühsam zu drehen und ihn auf dem Weg stehen zu lassen. Ein Fest wollen wir am nächsten Tag mit den Kindern feiern. Der Gedanke scheint absurd in dieser Umgebung. „Jetzt brauche ich erstmal zwei Stunden!“, war die Reaktion einer unserer Mitreisenden nach den ersten Eindrücken. Sie sollte im Wesentlichen an der Gestaltung des Kinderfestes am nächsten Tag mitwirken. Ein wenig blass wirkt sie noch und wir verstehen, was sie meint. Schließlich waren wir schon zweimal hier. Der Anblick der Hütten bewegt uns immer noch beim Gedanken, dass alle bewohnt und für die Menschen das Zuhause bedeuten.
Sofort kommen nun auch die Kinder von Familie Leon mit ihrem Vater. Aus Cristinas Briefen wissen wir, dass sie im Mai das dritte Kind erwartet und die Festtagskleidung der Kinder und des Vaters, teils selbst neu geschneidert, verrät das Geheimnis. Schnell wird das Auto nach der Begrüßung ausgeladen und zwei Stunden später klopfen wir im dreißig Kilometer entfernten Hateg im Spital an die Tür des Zimmers, in dem Cristina liegt.
Wer könnte die Freude des Wiedersehens beschreiben, die Freudentränen laufen ihren Lauf und die anderen fünf Frauen im Zimmer freuen sich ebenso. Mit ihren Eltern organisiert sie seit einem halben Jahr die Kinder- und Armenspeisung im Dorf und hat davon schon vieles geschrieben. So richtig wissen wir gar nicht, wo wir anfangen sollen mit erzählen, richtigerweise dann natürlich beim kleinen Mädchen. Problematisch war der Transport ins Spital geworden, erzählt sie. Angelut, ihr Mann, musste die drei Kilometer bis zum nächsten Telefon zu Fuß zurücklegen, um den Krankenwagen zu rufen. In welchem Zustand sich der Weg befindet, haben wir gemerkt. Hin und zurück musste der Krankenwagen ja auch fahren. „Eine halbe Stunde später wäre die Kleine, ich oder wir beide tot gewesen.“, begann Cristina zu erzählen. Die Nabelschnur um den Hals und mit dem Kinn voran, war die Geburt nicht unproblematisch. Doch beide sind nun gesund. Dafür sind sie überaus dankbar. Die Frauen unserer Gruppe erfassen die zerrissenen und teilweise verschmutzten Bettlaken, die Wolldecken, die verrosteten Betten und Nachttische im Zimmer eher als die Männer. Nach einer kurzen „Babyschau“, übrigens auch die erste für die beiden anderen Kinder der Familie, und einigen Fotos müssen wir uns verabschieden. Eigentlich darf schon seit zwei Stunden niemand mehr eingelassen werden.
In der Stadt besorgen wir für das morgige Fest noch Milch. Der Vorrat reicht nur knapp, denn wir nehmen die letzten fünfzehn Liter mit. Wieder zu Hause angekommen, gibt es genügend auszuräumen. Zwei Männer bauten inzwischen die drei neuen Regale zusammen, die nun für das Geschirr einen geordneten Platz bieten. Es ist überall einfach nur eng. Mit Cristinas Familie, der Vater ist der Pastor im Ort, besprechen wir nun den nächsten Tag mit allem Geplanten.
Auf der anderen Seite des Flusses wartet in einem rustikalen Ferienhaus, einer „Cabana“, unser Nachtlager und es ist schon dunkel beim Aufbruch dorthin. Vieles geht noch in den Köpfen hin und her von dem Gesehenen, aber auch bezüglich des bevorstehenden Tages. Der kommt recht schnell und nach einem dem Quartier angepassten Frühstück stehen wir wieder recht zügig auf der anderen Seite des Flusses.
Die Frauen überkommen eigenartige Gefühle, weil wir sie im Ort und bei der Familie allein zurück lassen. Sie bereiten fünfzig Portionen Pudding und einige Liter Kakao vor. Wir besorgen in der Stadt noch einige Dinge und auch Cristina wird nochmals besucht. Beim „Prozess der Namensfindung“, der noch einige Zeit in Anspruch nehmen soll, aber für die Akten bald beendet werden muss, setzen sich dann doch die jungen Leute durch. Die Mutter gibt sich zufrieden. Es ist für uns höchst amüsant, auch dieses Werden und Wachsen zu beobachten. Die Reinigungsfrau verwandelt dann den Fußboden mit dem weit aufgerissenen Belag in eine seenartige Landschaft und wir verabschieden uns im Wissen, das die Kleine von nun an Melania-Iuliana heißt.
Die Frauen sind mit dem Pudding fertig, auch wenn es seit fünf Stunden keinen Strom gab.
Nun soll der Gottesdienst in der kleinen Kirche mit den Kindern beginnen. Mit Mühe bekommen alle einen Platz, einige nur zum Stehen, der Raum ist Punkt drei Uhr restlos gefüllt. Fünfzehn Kinder in den ersten Reihen bilden den Chor und singen aus vollen Herzen und Kehlen, nicht weil gerade Besuch da ist, sondern weil sie es dreimal wöchentlich tun. Hier spüren wir Leben, denn sie alle wissen, an welch dünnem Faden es manchmal hängt oder auch oft nur noch baumelt. Das in Worte zu fassen ist nicht möglich, aber in den Augen der Kinder und Jugendlichen steht es geschrieben und wir können es lesen.
Wieder erzählen wir von dem Licht, das jeder Mensch im Glauben findet und dass es auf den Tisch gehört. Während wir noch nach den Worten suchen, leuchtet es so manchem der Anwesenden schon aus dem Herzen, das merken wir deutlich.
Nach der Puddingspeisung und dem Kakao geht es dann mit allen zum kleinen „Sportplatz“, wo Wimpel den Startplatz der Spiele markieren. Eierlauf, Sackhüpfen, Tauziehen - erst ein Kampf für die Preise, bald aber nur um des unbändigen Spaßes willen, denn so etwas gab es hier noch nie. In den Altersgruppen von zwei bis zweiundzwanzig fließt bei nun achtunddreißig Grad im Schatten so mancher Schweißtropfen, aber auch so manche Freudenträne. Alle sind ganz dabei und die Bedenken, mit denen „unsere Frauen“ noch als erste zum Vorzeigen in die Säcke gestiegen waren, lösen sich im Nichts auf. Freude pur ist angesagt. Auch Eltern und Großeltern kommen und lachen herzlich mit. Keiner denkt mehr an Probleme oder Sorgen. Wie sehr hatten wir uns vorher gewünscht, diese Menschen dort einmal so lachen zu sehen. Jetzt tun wir es gemeinsam. Doch Preise, Kräfte und der Nachmittag gehen zu Ende.
Nach einer kurzen Erholung für die Akteure werden achtzig Portionen Bockwurst vorbereitet. Der Hof von Familie Leon scheint zu bersten, aber doch fühlen sich alle pudelwohl. Auch die kleine taubstumme Frau sucht nach Dankesworten für das Abendessen, hier sprechen eben auch immer wieder die Augen und Gesten. Mit allen Kindern und Jugendlichen ziehen wir dann auf eine Wiese oberhalb des am Hang gelegenen Dorfes. In der Dämmerung singen sie noch einmal die Lieder vom Gottesdienst aus voller Kehle und wohl keiner im Ort kann es überhört haben.
Als es dann dunkel ist, werden die mitgebrachten Laternen angezündet und wir gehen ins Dorf zurück. Und wieder singen sie, vorbeiziehend an den Häusern und kaputten Maschendrahtzäunen, über den holprigen und steilen Dorfweg bis zur Kirche. Auch die Kleine, mit ihren drei Jahren an einer Hand geführt und stolz die Laterne in der anderen haltend, singt laut mit. Man hört sie besonders gut, da sie mit den kurzen Beinen noch nicht mitkommt. Deshalb sucht sie sich weit hinter den Sängern an unserer Hand den Weg. Ein schöner Tag geht so für das Dorf zu Ende.
Ein Leben lang werden sie sich daran erinnern, sagt uns einer. Aber für uns ist dieser Tag noch nicht zu Ende. In unserer Cabana angekommen, setzt sich der Chef mit an unseren Tisch und schnell kommen wir ins Erzählen. Er berichtet von Hirschen, Gämsen, Wölfen, Schlangen und Bären, die sich vor seinem Haus ein Stelldichein geben, in der Hoffnung auf etwas Futter. Wir befinden uns hier in der Kernzone des Totalreservates „Retezat“, dass schon lange internationale Beachtung gefunden hat. Und schnell sind wir auch mit dem Gespräch in Balanu.
„Hundert Jahre liegt es zurück in der Entwicklung!“, meint er, an rumänischen Verhältnissen gemessen. Wir versuchen es auf Deutschland zu übertragen, müssen noch einige Jahre dazurechnen und stehen plötzlich ungefähr bei 1873. Das erscheint dann doch auch realistisch. „Hier fehlt einfach noch ein großes Stück Zivilisation und das ist nicht mit Schokolade zu erreichen!“, seine Worte verstehen wir und geben zu verstehen, dass uns weit mehr auf dem Herzen liegt, als nur Schokolade zu verteilen. Skeptisch fragt er nach und so langsam beginnt er uns zu glauben. Gemeinsam beleuchten wir Entwicklungsmöglichkeiten. Uns allen ist klar, dass nur durch eigener Hände Arbeit der Menschen etwas geschaffen werden kann. Durch die geographische Lage bedingt, ist das Einzige was bleibt eventuell etwas Viehwirtschaft. Mit einigen Kühen beginnend, würden die Menschen Milch, Käse und nach einiger Zeit auch Fleisch haben. Die Gedanken beginnen sich zu formen und nach wenigen Stunden, auch wenn Mitternacht schon lange vorbei ist, haben wir vielleicht die Richtung gefunden. Herr Barascu erklärt sich zum Mittun bereit, denn einiges ist dann auch mit örtlichen Behörden zu klären. Die sollten ihren Anteil dazu beitragen, auch wenn sie finanziell absolut keine Möglichkeiten haben.
Am nächsten Morgen besprechen wir es mit der Familie des Predigers. Da, wo in der Nacht noch Probleme auftauchten, sieht er schon Möglichkeiten. Wir können endlich nur noch staunen, sind wir doch überall nur durch „geöffnete Türen“ gegangen. Gemeinsam mit allen Beteiligten bietet dieser Plan vielleicht eine gute Chance, dort in einigen Jahren ein jahrzehntelanges Defizit zu überwinden. Menschen bekommen Arbeit und dadurch erst einmal das Nötigste zum Überleben. Vielleicht ist das eine der Möglichkeiten, nach denen wir immer wieder Ausschau halten. Im August werden wir, so Gott will, einen kurzen Besuch machen und vor Ort sehen, wie weit die Vorbereitungen gelaufen sind. Das verabreden wir, auch wenn natürlich bis dahin über Briefkontakte einiges berichtet werden wird. Läuft alles soweit gut, könnten wir als unseren Teil im Herbst mit der Finanzierung der Tiere starten helfen.
Uns erscheint alles noch wie ein Traum, doch wer keine Träume mehr hat, ist arm. Wir versuchen den Menschen die Hand zu reichen, um ein lebenswerteres Leben für sie zu erlangen. Wer den Ort je mit eigenen Augen gesehen hat, wird verstehen, dass es mehr als notwendig ist. Den Menschen steht dort das Wasser bis zum Hals und oft auch darüber hinaus. Noch haben sie die Kraft, den Kopf nicht sinken zu lassen und das macht uns Mut, mit ihnen zusammen nach einer Hilfe zu suchen.
Eine schöne Aufgabe haben wir noch. Cristina darf die Klinik verlassen und wir können sie abholen. Es ist uns natürlich eine Freude. Wir besorgen noch schnell eine Babywanne und einen neuen Zinkeimer für den Brunnen. Nach einer Geduldsprobe des Wartens sitzen wir mit dem Familiennachwuchs im Auto und fahren wieder Richtung Balanu. Der Neuankömmling wird mit der Mutter begrüßt und ein Foto mit den drei Babys der Familie geschossen.
Wir werden gebeten, noch einen Besuch im Dorf zu machen. Der Familie geht es richtig schlecht, der Großvater ist aus dem Krankenhaus wieder nach Hause geschickt worden. Geld gibt es kaum, umgerechnet fünfzehn Euro Schulden für Brot stehen offen. In kleinster Runde gehen wir los und werden von der Großmutter freudig begrüßt. Der Hof und der Anblick der Hütte lassen uns erschauern. Eine Plastikplane als Dach soll den Regen abhalten. Die Frau lädt uns ein, ihren Mann zu „besuchen“. In der Hütte mit gut zwei mal zwei Metern liegt er dann vor uns, nackt, auf einer Wolldecke, mit einem Laken bedeckt. Einen Moment überlegen wir, ob er überhaupt noch lebt. Seine Frau nimmt das Laken ab und die Fliegen verteilen sich im Raum. So etwas haben wir noch nicht gesehen. Offene Stellen am ganzen Körper,... mehr beschreiben wir hier nicht. Schnell decken wir ihn wieder zu. Seine Augen reagieren ein wenig, während wir einige Worte stammeln. Die sechs Enkel zwischen zwei und fünfzehn Jahren stehen in der Tür. Wir kennen sie schon, haben sie doch beim Gottesdienst in der ersten Reihe am lautesten mitgesungen und ebenso fröhlich mitgespielt und gelacht wie alle Kinder am Nachmittag vorher. Es ist der einzige Besuch, den wir machen, müssen wir doch langsam wieder an die Rückfahrt denken.
Im Ort stehen ungefähr sechzig Häuser. In manchem, hoffen wir, später noch Besuche machen zu können. Nach der herzlichen Verabschiedung schlagen die Gedanken Purzelbäume und nur langsam beruhigt sich dieser Zustand.
Was bleibt ist die Hoffnung, einen Weg zu sehen und vielleicht gefunden zu haben. Was auch bleibt, ist die erlebte Freude aller und die freundlichen Gesichter im Dorf, das Winken unserer Freunde und auch des kleinen Mädchens, das noch weit vor dem Dorf plötzlich am Weg steht und uns nachsieht.
Nach dem Einkauf einiger Lebensmittel für die Freunde, zwei gemütlichen Abenden in Hunedoara und Temeswar, wo die Dacharbeiten am Pfarrhaus in dieser Zeit weiter zügig vorangeschritten sind, sitzen wir wieder im Auto Richtung Deutschland.
Immer und immer wieder versuchen wir die letzten Tage im Kopf zu sortieren und merken, wir brauchen noch einige Zeit dazu. Keiner von uns hat die Reise bereut, Ängste und Bedenken sind verflogen, wir haben viel erlebt. Hat es was gebracht, diese Fahrt? Darüber denkt keiner nach, denn die Bilder stehen uns noch lebendig vor Augen. Und wir merken, es waren kleine Schritte auf einem Weg, auf dessen Ziel wir alle sehr gespannt warten.
Das Erlebte war schon etwas mehr, als nur Ostersüßigkeiten zu verteilen. Auch wenn er klein war, es war ein Schritt vorwärts für viele, auch für uns. Noch vor einem Jahr war Frau Gindel todkrank und in Balanu haben wir fast Angst gehabt, weil wir nach wenigen Minuten im Ort von sechzig Menschen umringt waren. Diesmal saß Frau Gindel im Gottesdienst und in Balanu haben wir mit den Menschen geweint und gefeiert. Heute hoffen wir gemeinsam, den Weg weiter gehen zu können.
Aber wir können es nicht allein. Nur durch Ihre persönliche Mithilfe, durch das gemeinsame Zusammenarbeiten vieler Menschen und Einrichtungen in unserer Umgebung, durch das ganz persönliche „JA“ jedes Einzelnen, konnten und können wir etwas bewirken. „Das wenige, was wir tun können, wird viel. Es kommt auf uns an, aber nicht alles hängt von uns ab“, hat jemand gesagt. Ein Stück haben wir das hautnah buchstabieren gelernt. Herzlich danken wir Ihnen für Ihr „Paket“, das garantiert seinen Adressaten gefunden hat und der Sie ein Stück im Herzen trägt.