April 2005 - Wenn das Korn nicht in die Erde fällt und stirbt...
Viel zu schnell sind die Tage unserer letzten Rumänienfahrt und des Zusammentreffens mit unseren Freunden wieder vergangen. Noch immer sind unsere Gedanken dort, fest verankert. Beim Schließen der Augen erscheinen die Bilder der zehntägigen Fahrt. Viele Begegnungen, Erlebnisse, Schrecksekunden und Ermutigungen wiederholen sich so immer neu. Dankbar sind wir für das, was hinter uns liegt, für das, was wir tun konnten, für Bewahrungen und gute Entwicklungen, auf die wir nur einen sehr geringen Einfluss haben. Viele Freunde, Bekannte und Firmen ermöglichten durch ihren persönlichen Beitrag auch diese Fahrt und alle damit verbundenen Hilfen.
Das ist uns bewusst, als wir am Nachmittag des 27. April mit unseren zwei Kleinbussen abfahren.
Hinter uns fängt die Fernsehkamera des „Thüringen-Journal“ die letzten Bilder ein und vor uns liegen die 1200 Kilometer bis Temeswar. Zu sechst fahren wir los und jeder ist froh, noch sein eigenes Gepäck untergebracht zu haben. Kleidung, Schuhe, Computer, Medikamente, Lebensmittel, Möbel und die Ausstattung für einen Kindergarten, Schulranzen und entsprechendes Material, drei Fahrräder und vieles mehr bringt die Federn der Autos zum Ächzen. Manchmal treibt die Ladung den Fahrern den Schweiß auf die Stirn. Österreich, Ungarn, Rumänien - die Autos kennen schon den Weg. Nur in Wien wissen sie aufgrund der Bauarbeiten nicht mehr Bescheid und so umfahren wir ungewollt den Neusiedler See.
Es tröstet, als wir dann in Temeswar erfahren, dass wir nicht die ersten sind, die diese Runde drehten. Umso mehr freuen wir uns, ohne Probleme wieder die Grenze passiert zu haben und gut angekommen zu sein. Die Freude ist beiderseits groß, zuerst hier in der Familie des Pfarrers und in der Gemeinde. Schon bald sind wir bei dem Thema, welches uns zu Hause oft beschäftigt hat und hier das ganze Land in Atem hält: Hochwasser!
Teilweise sind ganze Dörfer verschwunden. In anderen Orten stürzten viele Häuser ein oder sind abrissreif. Man rechnet mit bis zu eintausend zerstörten Häusern. Wer nicht bei Verwandten oder Freunden wohnen kann, ist in Zeltdörfern untergebracht. Wie es weitergehen soll, wissen die wenigsten von ihnen. Über Versicherungen braucht man nicht mal nur nachzudenken. Das Land als Nahrungsgrundlage ist auf einer Fläche von über einhunderttausend Hektar überflutet.
Noch am Nachmittag fahren wir in die Region zu einem befreundeten Pfarrerehepaar. Es sind nur etwas mehr als sechzig Kilometer in Richtung Süden. Unterwegs werden die Wasserflächen immer größer, obwohl alles schon sehr zurückgegangen ist. Im Dorf Sculia ist fast jedes Fenster geöffnet. Die nassen Wände zeugen davon, dass die meisten Häuser und Wohnungen unter Wasser standen. Das Pfarrhaus, ganz aus Lehm, hatte es nicht zu sehr getroffen, es steht einige Stufen hoch. Trotzdem waren die Zimmer überflutet. Alle Wände sind gerissen, aber das Haus wird es wohl überstehen. Wir erkundigen uns nach schwer Betroffenen. Nicht allen können wir helfen, aber jemandem. Wir wollen zeigen, dass uns das alles nicht kalt lässt.
Der Pfarrer führt uns zu einem Haus. Vor einigen Tagen war nach einem nächtlichen Dammbruch in fünf Minuten alles überflutet. Kurz danach stürzte der Giebel ein. Das ältere Ehepaar, im Kirchenrat arbeitend, und zwei angenommene Waisenkinder mussten noch im Schlafzeug das Haus verlassen. Im vorigen Jahr haben sie mit allem Ersparten das Haus renoviert. Jetzt liegen beide in einer Nervenklinik. Zwei Stunden vor unserem Eintreffen stürzte der zweite Giebel mit dem Dachstuhl zusammen. Im Hof hängt noch die Wäsche und die Tochter findet gerade die Pässe der Eltern. Für sie geben wir der Frau etwas Geld, nicht für das Haus, denn zuerst werden Lebensmittel benötigt. Eine kleine Geste, die sich aber am gleichen Abend in der ganzen Kirche des Landes auf einer Versammlung herumgesprochen hat. Mit Dankestränen verabschiedet sich die Frau von uns, in der Hoffnung, im einsturzgefährdeten Haus noch wichtige Dinge finden zu können. Eine Geschichte von Tausenden.
Im modrig riechenden Pfarrhaus ist ein Kaffee für uns vorbereitet. Wir erfahren einige Einzelheiten. Die Armee hat Trinkwasser an die Betroffenen verteilt ... fünf Liter für ein kleines Schwein als „Gegenleistung“. Da kein Futter für die Tiere mehr vorhanden war, mussten auch die überlebenden Kühe verkauft werden. Firmen haben dabei bereitwillig geholfen, für zehn Prozent vom eigentlichen Preis, ohne Quittung versteht sich. Mit diesen und anderen Eindrücken fahren wir wieder zurück, packen unsere Autos aus und bereiten einige Besuche bei Gemeindegliedern vor.
Damit ist der nächste Tag ausgefüllt. Frau Gindel erkundigt sich wie immer, was es in Deutschland Neues gibt. Sie hat sich schon wieder sehr auf uns gefreut. Dann geht es zu „neuen“ Leuten. Die Straßen der Stadt sind eine Katastrophe, nicht nur wegen der vielen Umleitungen, die der Gleisneubau für die Straßenbahn erforderlich macht.
Herr und Frau Schelken wohnen in einem kleinen Haus zur Miete. Dass sie sich diese nur noch mühsam von ihrer Minimal-Rente abknapsen können, zeigt die Einrichtung der zwei kleinen Zimmer. Dazu beißen die gesundheitlichen Probleme. Sie leidet an Krebs und ihm wurde vor einigen Monaten ein Bein amputiert. Auf sich allein angewiesen, ist es kein lustiges Leben. Die Kirchgemeinde hilft mit etwas Geld, Lebensmitteln und Medikamenten wie und wenn es möglich ist. Genau so wichtig sind die Besuche, die bei den Schelkens, wie bei fast allen älteren Gemeindegliedern, regelmäßig organisiert sind.
Frau Pitzinger ist mit vierundneunzig Jahren das älteste Gemeindeglied. Das häusliche Umfeld lässt ehemaligen Wohlstand noch ein wenig erahnen. Ihr Mann war der berühmteste Nervenarzt der Stadt und sie seine beste Helferin. Eindrucksvoll erzählt sie aus ihrem Leben und respektvoll von denen, die einst ihre Patienten waren. Eigene Gedichte, die zu schreiben ihr Hobby, aber auch innerstes Anliegen war, trägt sie vor. Sie zeugen von einer Persönlichkeit, die durch Wohlstand weder abgehoben noch deformiert ist. Das Gedicht: „Was ich möchte“ steht, so empfinden wir, für ihr Leben. „Ich möchte verzeihen und lieben können!“, so endet es. Das nötigt uns Achtung vor einer Frau mit viel Weisheit ab. Gern denken wir an sie zurück.
In weiteren Besuchen erfahren wir anderes, vieles aus der Vergangenheit, Trauriges und froh machendes, Verzweiflungen und Hoffnungen, Alltägliches und Besonderes. Was bleibt, ist der Eindruck, dass diese und die Besuche der Kirchgemeinde wichtige und helle Momente im Leben derer sind, die das Leben gezeichnet hat, oft mit schweren Wunden.
Bei der Zusammenkunft mit dem Arzt der Gemeinde übergeben wir die Medikamente. Er führt über alle Konsultationen genau Buch. Zwanzig Personen aus der Gemeinde sind es durchschnittlich jedes Mal, die kostenlos von ihm behandelt werden. Das Gesundheitssystem ist eines der vielen chronischen Leiden des Landes, das allerdings fast jeden in Mitleidenschaft zieht. Wie es zum Wohle aller Beitragszahler funktionieren könnte, kann uns niemand auch nur andeuten.
Gute Begegnungen warten noch auf uns. Das Treffen mit den Jugendlichen wird mit Erzählen, Singen und einem Bibelquiz gestaltet. Ein Diavortrag über Israel, ein Treffen mit dem Gemeindekirchenrat und viele Gespräche zeugen von den beiden Pfeilern einer Brücke, die stabil sind und gegenseitig tragen. Mit unserer Partnerschaft sind aus Samenkörnern bereits Pflanzen gewachsen, deren Früchte reifen - im Zusammensein, im Vertrauen und in der gegenseitigen Freude.
Nicht zuletzt wird das im Gottesdienst am Sonntag deutlich. Es war der erste Gottesdienst der Gemeinde ohne einen Pfarrer, gemeinsam haben wir ihn gestaltet und gefeiert. Und der Pfarrer war stolz auf seine Gemeinde! Das übergebene Geld wird für Renovierungsarbeiten und andere Hilfeleistungen gute Verwendung finden, darauf können wir uns verlassen.
Dann geht die Reise weiter in Richtung Hunedoara. Das Land feiert den orthodoxen Ostersonntag, auf den Straßen ist weniger Verkehr als gewöhnlich. Angenehmes Wetter macht die Fahrt abwechslungsreich. Vieles steht noch unter Wasser. Die Menschen grüßen freundlich, oft ist die Familie vor den Häusern versammelt, um zu erzählen oder den Kindern beim Spielen zuzusehen. Am großen Hunyaden-Castel von Hunedoara, einer Burganlage aus dem 15. Jahrhundert, nehmen wir den Kanalrahmen ohne Deckel noch schnell zwischen die Räder unseres Autos, um danach die kurze, schon traditionelle Pause einzulegen. So dachten wir. Offensichtlich hatte es der zweite Bus mit dem Kanal nicht so gut getroffen. Jedenfalls läuft jetzt armstark der Diesel heraus und die Straße wieder hinunter. Viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht und im Eiltempo nehmen wir die letzten Kilometer bis zum Hof unserer Freunde. Dann ist der letzte Tropfen Diesel des eigentlich vollen Tanks heraus gelaufen.
Nach der dennoch herzlichen Begrüßung gilt der nächste Blick dem Auto. Ein faustgroßes Loch im Tank lässt uns den Atem etwas stocken. Ein KIA-Tank in Rumänien ist wohl so etwas wie ein Meerschwein auf dem Mond - sicherlich möglich, aber eben eine Frage der Zeit. Gerade die fehlt uns aber immer. Andrej, unser Freund und Automechaniker, winkt nur ab: Kein Problem! Wir kennen ihn und vertrauen seinem Wort. Und genau das ist es, was diese Fahrt immer wieder kennzeichnet - Vertrauen. Das allein motiviert dazu, unser Denken und Tun in die Hände dessen zu legen, der dieser Arbeit, mit allem Drum und Dran, Wachstum schenkt. Das werden wir in den nächsten Tagen noch oft zu verinnerlichen haben und es wird nicht bloß ein Gedankenspiel bleiben. Solches Vertrauen ist wie ein Samenkorn. Nur wenn es zum Sterben begraben wird, entsteht Neues. Zum Wachsen braucht es Zeit, Geduld, aber auch Pflege. Wir jedenfalls atmen auf, sind dankbar, dass es „bloß“ der Tank ist und freuen uns an Neuem.
Die renovierten Zimmer bei Familie Budai, die neue Küche bei Familie Filip, die größer gewordenen Kinder und alle Herzlichkeit lassen uns freudig nach vorn blicken. Schnell steht das Osteressen als Lammbraten auf dem Tisch und es schmeckt vorzüglich. Morgen, am Montag, wird Andrej das Auto reparieren und wir die Kinder in der Schule und dem Kindergarten besuchen. Alle werden kommen, auch am Feiertag.
Und sie kommen, vielleicht noch einige mehr, denn sie haben ja alle frei. Was es mit Ostern auf sich hat, können sie uns erzählen und sie sind stolz darauf. Wir gehen die Ostergeschichte gemeinsam durch und versuchen, sie für unseren Alltag verständlich werden zu lassen: Der Auferstandene lädt auch uns zum Aufstehen ein. Nicht zuletzt auch deshalb sind wir ja hier. Natürlich wissen die Kinder auch, dass wir wieder mit den bunten Tüten angekommen sind. Viele Süßigkeiten, Spielsachen und Würste finden viele und freudige Abnehmer. Die Sonne scheint nicht nur am Himmel, sondern auch in den Augen und Herzen, auch in den unsrigen. Nach den Grüßen aus unseren Schulen und Kindergärten, dem Gruppenfoto, netten Gesprächen mit Müttern und Großmüttern und einer Vorführung der Kenntnisse am von uns finanzierten Computer sitzen wir noch mit der Lehrerin und der Kindergärtnerin zusammen. Wir entdecken an der Wand die gemalten Ostergeschichten und viele andere Dinge, die aus den mitgebrachten Materialien entstanden sind. Wir sprechen über Probleme, sehen uns die Abrechnung der erworbenen Dinge an und überlassen Gelder für landessprachliche Unterrichtsmaterialien. Sie machen Lehren und Lernen leichter. Nach Kaffee und Gebäck verabschieden wir uns. Es bleibt der Eindruck von Menschen, die um andere besorgt sind, und das nicht nur, weil es ihr bezahlter Job ist. Das wollen wir unterstützen mit unseren Möglichkeiten. Die Lehr- und Unterrichtsmaterialien, Schulranzen, Hefte, Lineale, Stifte und Spielzeuge entlasten die ohnehin stets leeren Hosentaschen der Eltern. Viele von ihnen sind arbeitslos, nicht nur die Älteren. Natürlich fehlt es auch oft an entsprechender Bildung. Um das ein wenig zu verstehen, braucht es einige Kenntnisse aus der Geschichte des Landes und seiner Menschen. Schnelle Abhilfe ist nicht möglich. Geduld ist notwendig und da und dort eine Handreichung, die zum Aufstehen hilft.
Das wird beim Besuch der Familie Karacsoni deutlich. Wir kennen sie vom letzten Herbst, die Eltern mit den fünf Kindern. In der kleinen Hütte am Rande des Dorfes haben sie den Winter überstanden. Keiner von uns wollte das miterlebt haben. Nicht so gut überstanden hat der Vater das Abmontieren von Alteisen im ehemaligen Kombinat zum Gelderwerb für die Familie. Ein zweihundert Kilogramm schwerer Brocken traf ihn am Rücken. Mehrere Operationen lassen ihn jetzt wieder auf Genesung hoffen. Das Grundstück gehört nach unserem letzten Besuch, notariell beglaubigt, der Familie und demnächst soll ein weiteres Zimmer entstehen. Geld für Material bleibt bei unseren Freunden und wir hoffen, dass es gut verwendet wird. Wieder ein Samenkorn im Boden, von dem bis jetzt noch nicht zu viel zu sehen ist. Aber wir vertrauen auch hier auf ein wenig Wachstum. Mit den Eltern reden wir noch eine Weile. Die Wichtigkeit des Kindergartens, den die Kinder in diesem Jahr nur spärlich besucht haben, die Verantwortung der Eltern den Kindern und ihrer Zukunft gegenüber und die Willensbildung der Kinder, nur wenige sprechen im Land mit Romas über solche Themen, aber sie sind so wichtig.
Am Abend ist dann der Tank dicht und unser Auto flott. Andrej kann nicht mehr stehen und sitzen. Es war schweißtreibend, die letzten Löcher noch zu stopfen. Aber schnell gepackt, geht die Reise nach Balanu, wo wir nach einer Rekordzeit die letzten Kilometer ins Dorf gezwungen langsam nehmen. Noch bei Tageslicht laden wir die immer noch vollen Autos aus, endlich das letzte Mal auf dieser Reise.
Am reich gedeckten Tisch wartet seit dem Nachmittag das Essen auf uns, Balanu ist ja telefonisch nicht zu erreichen. Gut angekommen, erzählen wir unseren Freunden vom Loch im Tank und sind froh, dieses Mal alle Hindernisse umfahren zu haben. Schon lange haben uns die Kinder des Dorfes entdeckt und begrüßen uns ebenfalls freundlich. Beim Essen traditioneller Osterspezialitäten staunen wir nicht schlecht über deren hervorragende Zubereitung. Dann werden die Pläne für die nächsten Tage besprochen und die Nachtquartiere verteilt. Auch für uns ist Platz in den kleinen Häusern. Wir spüren Offenherzigkeit und Freude, Hoffnung und Bereitschaft, wieder ein Stück Weg gemeinsam vorwärts zu gehen. All das, was uns ein halbes Jahr bewegt hat und vorbereitet wurde, mühsam in Briefen hin- und hergeschrieben ist, hier wird es sich entladen, erfüllen und realisieren. Diese Gewissheit erfüllt und treibt uns. Chancen für die Zukunft der Kinder, Jugendlichen und anderen Bereitwilligen aus Balanu wollen wir miteinander entdecken und aufbauen. Samen in die Erde legen, auch bei rauem Klima, aber der Boden ist fruchtbar. In Balanu hängen wir deutlicher als andernorts am Segensstrang unseres Herrn, nichts anderes trägt uns hier, das wird immer wieder deutlich. Aber er trägt sicher und wir halten miteinander daran fest.
Am nächsten Morgen, nochmals ein Feiertag im Land, bringen wir die Möbel und Einrichtung für den Kindergarten dorthin. Da kein Auto den Weg befahren kann und ein kleiner Wagen auch nicht vorhanden ist, werden die Möbel in Einzelteilen durchs Dorf getragen. Helfer sind genügend da und lustig ist der „Gänsemarsch“ den Berg hinauf. Nach zwei Stunden ist aus dem nur mit Tischen, Stühlen und einem alten verschlossenen Schrank möblierten Raum ein Kindergarten entstanden. Spielzeug in den Regalen aufgebaut sowie sortierte Bastel- und Malsachen eröffnen neue Möglichkeiten. Wir vertrauen auf die Phantasie der Kindergärtnerin.
Der Nachmittag vergeht mit dem Sortieren der Sachen für den Ort, Kinderspeisung und Schule. Hygienematerial, Wasch- und Reinigungsmittel, Lebensmittel, Kleidung und Schuhe, Schreibzeug und Kinderbibeln, Werkzeuge und Medikamente, Bestecke und vieles mehr, alles hat seinen Platz auf engstem Raum. Chancen für Kinder und Jugendliche zu eröffnen, das funktioniert im Wesentlichen über gute Bildung. Solches wollen wir fördern und werden dabei von Bekannten und Freunden in der Heimat unterstützt.
Wir trafen die „Kandidaten“ schon am Morgen im Dorf und haben sie für den Nachmittag eingeladen - Andrej, Raluca und Hanni. Sie wollen lernen und haben die nötigen Voraussetzungen, zumindest im Kopf und Herz. Andrej ist auf einem Lyzeum für Forstwirtschaft, die Internatskosten kann seine Mutter allerdings nicht aufbringen, trotz Arbeit im Ausland, es war nur Regenwetter. Ein halbes von vier Jahren hat er geschafft. Raluca hofft, im Herbst auf ein Lyzeum zu gehen. Hanni ist bereits auf einem Lyzeum für Biochemie in Calan. Im Gespräch mit dem Vater wird die wirtschaftliche Situation deutlich, denn die Eltern haben auch keine Arbeit. Die letzte Monatsrate für das Internat steht offen, ebenso die Fahrtkostenfinanzierung. Genau dafür haben wir Hilfen mit im Gepäck. Sie freuen sich sehr darüber und es geht wieder ein Stück weiter.
Im Dorf reden wir mit den Leuten, die das Fahrrad, einen alten Dacia oder den Zaun reparieren. Im Sommer ist alles etwas erträglicher. Wir erzählen von unseren Vorhaben und davon, dass Cristinas Familie die Arbeit der Speisung und die mit den Kindern auch ohne Bezahlung gern macht. Sie will einfach Gutes tun, auch in einer Umgebung, in der selbst mit bezahlter Arbeit, wo vorhanden, das Leben nur schwer erträglich ist.
Am Abend nutzen wir die Zeit, um über den Bau eines Gemeinschaftshauses zu sprechen. Der Platz ist schon beräumt und vom Geld des letzten Jahres liegen Baumaterialien bereit. Im Erdgeschoss sollen Küche, Gemeinschaftsraum und ein Urlaubs- oder Krankenzimmer mit entsprechenden Toiletten und Bad entstehen, alles Einrichtungen zur öffentlichen Nutzung. Cristina wird mit ihrer Familie im Obergeschoss eine Wohnung bekommen, nachdem sie seit über fünf Jahren im ehemaligen Kuhstall wohnen. Einige Papiere sind noch zu klären und wir raten zu sicheren, sprich amtlich und rechtlich vorgeschriebenen Schritten, auch in Balanu. Das ist schnell einsichtig und klar, denn in geordneten Verhältnissen ist das Leben leichter. Erkenntnisse, die wie vieles andere, auch Resultate der Praktikumszeit vom vergangenen Herbst im Altenheim in Sibiu sind. Cristina und Margaretha haben das mit gutem Zeugnis gemeistert, in einer Welt, die anders ist als die in Balanu. Vieles ist davon hängen geblieben. Wir spüren es immer wieder. Lange besprechen wir viele Einzelheiten, fragen nach und überlegen gemeinsam. Aus Mitteln der Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ der Diakonie Mittelthüringen und anderen Spenden übergeben wir Geld für weiteres Baumaterial. Es wird noch einige Zeit dauern, bis das Haus für alle das ist, was es sein soll. Aber ohne Fundament wird nichts stehen. Wir wissen, dass es gelegt ist. Auch für die Weiterführung der Armenspeisung überlassen wir Geld. Alles ist haarklein abgerechnet und wird uns vorgelegt. Diese Speisung hat sich als tragende Säule der Gemeinschaft im Ort entwickelt, die kein Beteiligter missen möchte.
Der nächste Morgen beginnt mit dem offiziellen Besuch in der Schule und im Kindergarten. Spaß macht es wieder, die Kinder zu beobachten, auch wenn sich noch niemand an die neuen Sachen herangewagt hat. Sie malen im Kindergarten gerade mit den Stiften unseres letzten Besuches. In der Schule sind wir schon wie zu Hause, überbringen überall Grüße, Basteleien, Süßigkeiten und weitere Materialien. Solche Momente bereichern und entschädigen jeden Aufwand der Vorbereitungen. Viel Zeit bleibt nicht, denn ein voll ausgeplanter Tag hat begonnen.
Die weibliche Hälfte unserer Gruppe bereitet einige Plätzchenteige vor und schon bald stehen fünf kleine Mädchen mit geschrubbten Händen bereit. Sie wissen, dass die Plätzchen nicht für sie bestimmt sind, sondern für einige Alte und Kranke im Dorf. Das Ergebnis lässt sich sehen. Gleichzeitig hat der neue Bürgermeister Zeit für einen Ortstermin in der Schule gefunden. Wir lernen uns kennen und es werden nicht nur Förmlichkeiten ausgetauscht. Der Müll des Dorfes, die geplante Wasserleitung und die Weiterführung der Speisung sind Themen, die wir besprechen. Er erzählt vom eng bemessenen Budget für die acht Orte und beim Anblick des aufgepäppelten Kindergartens entschuldigt er sich für seine nicht vorhandenen Möglichkeiten. Wir verstehen und bedanken uns, dass er die Möglichkeit des Kindergartens vor einem halben Jahr überhaupt eröffnet hat. Es war wertvoll, sich kennen gelernt und miteinander über einiges gesprochen zu haben.
An der Kirche warten schon einige Kinder, denn wir haben zum Kindergottesdienst eingeladen. Singen können selbst die Kleinsten und sie tun es aus voller Kehle. Das Thema ist natürlich wieder die Ostergeschichte. Jeder Einzelne ist gemeint mit dem, was damals geschah, am ersten „Osterfest“. Jeder Einzelne ist mit seinem Namen ins Leben gerufen, auch in Balanu. Um das deutlich zu machen, haben unsere beiden Schülerinnen aus der Tabarzer Schule bunte Blumen aus Papier vorbereitet, auf die jeder seinen Namen schreibt und sie sich dann ansteckt. Heller noch als die Blumen leuchteten dann die Augen der Kinder beim Abschlussfoto. Aber abgeschlossen ist der Tag noch nicht.
Mit unseren fünf kleinen Bäckerinnen geht es zu den Leuten ins Dorf. Vieles lässt sich nicht erzählen, es sind einfach erbärmliche Umstände, auf die wir immer wieder treffen. Im Haus der kleinen taubstummen Frau, die immer an der Speisung teilnimmt, gibt es nichts zu fotografieren. Auf den wenigen Quadratmetern stehen nur ihr Bett, ein Ofen und ein Stuhl. Gern und dankbar nimmt sie von den Kindern die Plätzchen an. Nicht weit entfernt von ihr wohnt Terezia mit der Tochter und den Enkeln im Haus. Sie ist seit einigen Jahren blind und geistig behindert, die Folge einer nicht behandelten Krankheit. Aus einer Blechschüssel löffelt sie, draußen auf der Treppe sitzend, etwas, was kein Vieh mehr angerührt hätte. Natürlich geht vieles daneben, deshalb sitzt sie ja auch draußen. Wir fragen Cristina nach dem Alter der Frau und erschrecken, dass unsere geschätzten fünfundachtzig Jahre auf vierundsechzig zusammenschmelzen. So ist das Leben in Balanu. Froh sind wir darüber, die Kinder dabei zu haben. Sie gehen damit einfacher um als wir. Da wünschen wir uns, wie Kinder sein zu können. Weitere drei Besuche absolvieren wir, die Kinder und die Besuchten kennen sich gut. Stolz sind die Kinder, „ihre“ Plätzchen verteilen zu können und es macht ihnen große Freude. Sie haben vielleicht schon vieles begriffen.
Auf dem Rückweg kaufen wir wieder vierzig Körbe auf, die Frauen für uns gefertigt haben, ein kleiner Zuverdienst. Während unseres Zuges durch das Dorf brennt am Fluss ein kleines Feuer. Dort backen die anderen unserer Gruppe mit den Kindern und Jugendlichen Stockbrot. Nudelsatt kommen sie uns fröhlich entgegen und können nicht schnell genug erzählen, wie gut es geschmeckt hat. Wir spüren Nähe und Vertrauen, Freude und Hoffnung. Vieles wird am Abend in entspannter Atmosphäre erzählt und besprochen. Sehr gefüllt waren die Tage, für unsere Freunde und für uns, aber sie haben wieder bereichert. Wir gehen gemeinsam ein Stück Weg. Wir können lernen, einander zu verstehen, zu helfen und Mut zu machen. Auf drei Jahre rückblickend entdecken wir hinter den geöffneten Türen schon keimende Saat. Es hat sich gelohnt, gerade auch in Balanu zu säen, im festen Vertrauen auf den Segen zum Wachstum. Immer wieder lernen wir, was es heißt, ein Korn in die Erde zu legen. Wir haben solches Korn, zu Hause in unserer Umgebung, kleineres und größeres.
Über Hunedoara und Temeswar geht es zurück nach Deutschland. Haben wir begriffen, warum wir hier und nicht dort geboren wurden? Der eine nennt es Glück, der andere Zufall, für „die dort“ ist es Schicksal. Für uns ist es zur Möglichkeit und Aufgabe geworden, einen winzigen Teil unserer einen Welt zu verändern, im Hören, im Teilen und im gegenseitigen Vertrauen.
Wieder haben sich viele Helfer gefunden und an Sie persönlich geben wir den Dank aller weiter, die teilhaben. Sehr stabil ist auch die Arbeit der uns unterstützenden Initiative „Partner Rumänien“ im Raum Tabarz gewachsen. Durch die wiederholte Hilfe in Form eines Kleinbusses durch das Tabarzer KIA-Autohaus, verbunden mit allen Risiken, wie sich gezeigt hat, war wieder Vieles möglich. Der Transport der Güter ist wirklich eine wichtige Sache. Wir selber sind dankbar, dass unsere Arbeit von allen, nicht mehr namentlich aufzuführenden, Helferinnen, Helfern und Firmen ermöglicht wird. Sie alle sind es, die mitarbeiten, solchen Samen zu legen und, mit etwas Geduld, auch die Früchte reifen zu sehen. Solches weiterhin mitzuerleben, dazu laden wir Sie herzlich ein.