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April 2006 - Gelacht und geweint, aber jeden Meter erlebt

Wieder liegen sie hinter uns, diese Tage in Rumänien. Wir versuchen die Gedanken zu ordnen und in unserem Alltag wirklich anzukommen. War es nur ein Film, mit uns als Mitwirkende? Das Erlebte lässt sich nicht einfach beiseite schieben. Wenn uns unser Leben zu Hause jetzt in Besitz nimmt, stellen wir uns den Eindrücken und wollen alles festhalten. Vieles hat uns beeindruckt, ist tief in unser Inneres gedrungen. Vieles?

Es waren keine Dinge, es waren die Menschen, die Begegnungen und Erfahrungen mit ihnen, Einblicke in ihr Leben, gemeinsame Stunden und Tage. Säuglinge und Alte, Kinder und Erwachsene, alle haben einen Namen und eine Adresse. Alle haben eine Vergangenheit und leben ihren Alltag. Wir fragen uns, wie ihre Zukunft aussieht und entdecken, wie wir verbunden sind. Von wem ist hier eigentlich die Rede? Es sind Menschen, denen wir begegnet sind und die uns ohne Vorurteile(!) die Türen ihrer Häuser und Herzen öffneten. Viele von ihnen sind uns zu Freunden geworden und haben sich tief in unsere Gedanken eingegraben. Aber beginnen wir von vorn.

Zwei Kartons Kleidung passten einfach nicht mehr in die beiden Transporter. Die letzten Lücken zwischen den Koffern, Paketen und Säcken mit Kleidung und Schuhen, Lebensmitteln und Süßigkeiten, Medikamenten und Arztinstrumenten, Schul- und Bastelmaterialien, Fahrrädern und Werkzeugen, Spielsachen und Hygieneartikeln waren ausgefüllt mit Inkontinenzmaterial und Plüschtieren. Mühsam fand noch das eigene Gepäck einen Platz und beschwerlich war am 26. April auch so mancher Abschied für die zehntägige Reise. Ähnlich gefüllt wie die Autos sind auch wir, die sechs Reisenden, voll mit Erwartungen, was uns begegnen wird. Mit jedem Meter kommen wir dem Ziel Rumänien näher. An der letzten Grenze haben wir natürlich auch eine kleine Freundlichkeit für die freundliche Zollbeamtin und ihre beiden Töchter. Sie kennt Hunedoara und war auch schon im schönen Retezat. Erleichtert lassen wir die Kontrollen hinter uns und fahren die letzten achtzig Kilometer bis zum Pfarrhaus in Temeswar.

In die herzliche Begrüßung durch Pfarrer Kovacs und seine Frau sind auch die Erstreisenden eingeschlossen. Einiges hat sich verändert. Unsere Gästezimmer sind renoviert. Die Diele, der Raum für die gemeinsamen Mahlzeiten, hat vor dem Anstrich ein neues Fenster und eine neue Tür erhalten. Für die kalten Jahreszeiten ist das eine große Erleichterung. Anhand der Fotos vom Bau freuen wir uns mit unseren Freunden, dass alles vorüber ist und wenige Tage vor unserem Eintreffen fertig wurde. Beim Essen werden Neuigkeiten von beiden Seiten ausgetauscht und die nächsten Tage geplant. Natürlich wollen wir ältere Gemeindeglieder in der Stadt besuchen, einige gute Bekannte sind im letzten halben Jahr verstorben.

Frau Eva wartet schon sehnsüchtig auf den Deckel für den großen „Segen“ vom Herbst. Sie meint damit den Nachtstuhl, dessen Deckel wir vergessen hatten. Trotz des segensreichen Deckels ist sie ernstlich besorgt. Das Haus, in dem sie seit Jahrzehnten wohnt und das sie auf Grund ihrer Krankheit fast genauso lange nicht verlassen konnte, soll rückübereignet werden an die Erben früherer Besitzer. Damals zwangsenteignet, ist es in staatlichem Besitz. Mit der geplanten Rückübertragung wächst auch Frau Evas Plan, mit deren Umsetzung sie beabsichtigt, dieses Haus nicht lebend zu verlassen. Sie kennt die Verhältnisse in ihrem Land und entsprechend bereitet sie sich darauf vor. Sie ist eine starke Persönlichkeit. Wir hoffen, dass die Möglichkeiten von Pfarrer Kovacs stärker und überzeugender sein werden.

Bevor wir am nächsten Morgen an die serbische Grenze nach Otelec fahren, um zwei Familien zu besuchen, kaufen wir Lebensmittel bei „Billa“. Die Regale im Großmarkt dieser österreichischen Kette unterscheiden sich nicht von denen unserer Märkte zu Hause. Wem dann aber die Umrechnung der Preise vom alten und neuem (schweren) Leu in Euro endlich gelingt, der schluckt ohne dabei zu essen. Wir kennen schon ein wenig die Einkommenssituationen im Land mit achtzig bis einhundertzwanzig Euro für Arbeiter, Lehrer und Ärzte, wir wissen um die Renten von zehn bis fünfzig Euro. Wir zweifeln am Ergebnis unserer Umrechnung, denn es gibt kaum einen Artikel, der preiswerter ist als in Deutschland. Wie gesagt, es handelt sich nicht um Luxusgüter sondern um einfache Lebensmittel. Viele davon sind allerdings zum Luxus geworden, selbst hier in Temeswar mit seinen 400.000 Einwohnern. Schnell sind die fünfzig Euro auf dem Taschenrechner zusammengetippt. Öl, Wasser, Wurst, Brot, etwas Obst, Milch, Fischkonserven und einige Süßigkeiten verpackt, besuchen wir die Familie Donosa in Otelec. Nach dem Hochwasser im vorigen Jahr waren sie ohne jede Unterstützung geblieben. Über den Winter konnten wir mit einem monatlichen Lebensmittelpaket, wie eben gekauft, etwas für diese Familie mit den fünf kleinen Kindern tun. Die Eltern haben seit dem Frühjahr die Möglichkeit, beim Nachbarn im großen Garten zu helfen. Dafür dürfen sie dort ein Stück für sich nutzen und etwas anbauen. Vor dem Haus spielen die Kleinen mit den Küken. In den Räumen sieht es schon sortierter aus als beim letzten Besuch. Wollen wir es werten, wenn sich die Hoffnungslosigkeit im Leben ausgebreitet hat oder wollen wir einfach den Versuch wagen, kleine Lichter anzuzünden an Orten und mit Menschen, wo es einfach vordergründig nichts zu hoffen gibt? Wir wagen es, bei Familie Donosa und auch noch an anderen Stellen. Rückblickend haben wir erfahren, dass sich im Blick auf unseren Herrn die Investition in das Vertrauen lohnt.

Weiter geht die Fahrt nach Gataia. Zum wiederholten Mal hat das Hochwasser der Timis vor einigen Wochen das Haus einer direkt neben dem Damm wohnenden Familie geflutet. Zwar ist alles gereinigt, aber die Schäden der ersten Flut sind noch längst nicht behoben und das Haus nur zum Teil nutzbar. Geld für Baumaterial von der Diakonie können wir übergeben und die Frauen unserer Gruppe bekommen es mit Flieder gedankt. Unter Wasser stehende Felder und Wiesen erinnern während unserer Rückfahrt daran, dass noch längst nicht alles für die Frühjahrsbestellung bereitet ist und in diesem Jahr mehr Flächen brach liegen bleiben müssen. Große Löcher in der sandigen Erde lassen Deichreparaturen vermuten. Wie lange so etwas standhält? Das nächste Hochwasser wird es zeigen, leider!

In Temeswar besuchen wir das Ehepaar Schelken. Sie, an Krebs erkrankt, er mit nur einem Bein, beide freuen sich über unseren Besuch und die Tüte mit den Lebensmitteln. Seit einiger Zeit ist sie ans Bett gebunden und kämpft mit Schmerzen und Thrombose. Die Nächte sind lang, denn sie kann kaum schlafen. Auf dem kalten Herd der spärlich eingerichteten Küche liegen in einem Topf zwei Hühnerbeine, der Sonntagsbraten. Für die nötigen Medikamente fehlt das Geld. Keine Jammerei und Klagen nur ein Achselzucken folgt auf die gequälte Frage nach dem „Wie geht’s denn“. Neben aller Tristesse im Raum ist aber irgendwie eine Freude zu spüren, die von beiden ausgeht. Als er sich dann mühsam zum Bett seiner Frau bewegt und sich neben sie zum Foto setzt, strahlen uns zwei Augenpaare an, nicht nur wegen dem Foto, sondern weil sie sich an diesen Tag wieder oder noch haben. Unsere Augen werden angesichts dieser Dankbarkeit feucht.

Quer durch die Stadt fahren wir in ein anderes Viertel. Hier lebt Frau Sara. Ihr Sohn und Schwiegertochter sind meist bei ihr. Ja sie lebt, aber das ist auch schon fast alles. Von einer Einrichtung in ihrem Zimmer kann man schon kaum noch sprechen, aber es ist ihr zu Hause seit vierundachtzig Jahren. Sie liegt im Bett und mit weit geöffnetem Mund ringt sie um jeden Atemzug. Klare Augen blicken uns an und bedanken sich für den Besuch. Nur noch ein Viertel ihrer Lunge funktioniert, erfahren wir vom Sohn, während die Schwiegertochter weinend das Zimmer verlässt. Er erzählt uns von seiner früheren Tätigkeit in Telefonbau und von der jetzigen Situation im Land. Angesichts seiner Mutter, deren Bett fast so alt wie sie scheint, braucht es nicht vieler Erklärungen zum sozialen Status der Pensionäre im Land. Ein Leben lang haben sie in alle Kassen einzahlen müssen um sich, wenn es wirklich notwendig ist wie hier, kein Medikament oder eine Behandlung leisten zu können. „Wir müssen die Tür schnell wieder schließen, wegen der Gefahr einer Lungenentzündung!“ Freundlich geleitet uns der Sohn noch über den Hof bis zum Tor und bedankt sich noch viele Male für den Besuch und den Beutel mit Tütensuppen, Fischbüchsen, Reis und Nudeln. Wir denken nicht nach über eigens „geschaffene und zu erhaltene Lebensstile“, denn wir sind noch gefangen in den Gedanken an die eben erlebten Ziele am Abend eines langen und arbeitsreichen Lebens. All das bewegt uns und auch die modisch gekleideten Menschen in der Stadt, im großen „Bega“, dem Kaufhaus mit seinen Düften nach Parfüm und Wohlstand, können nicht darüber hinwegtäuschen.

Während aller Packerei aus und in unsere Autos kommen immer wieder neugierige Blicke ins Tor. Einem Obdachlosen geben wir die Decke aus dem Auto. Er schläft nachts auf einer Garage, damit ihn die Polizei nicht erwischt, erfahren wir, während er sich gleich die Decke umlegt.

Mit den Jugendlichen der Gemeinde probieren wir einige Lieder für den Gottesdienst. Sie erzählen vom Studium oder dem Job oder auch von beidem. Wie wichtig es für sie als Gruppe oder als einzelne ist, im Pfarrhaus offene Türen und Ohren zu finden, spüren wir im Gespräch. Offen und ehrlich erzählen sie, auch von den negativen Erfahrungen als Praktikant in Deutschland. Man hat Andi seine Nationalität deutlich spüren lassen, in einer deutschen Kirchgemeinde. Er hatte nach dem Urlaub zu Hause nicht mehr das Verlangen, diese Zeit bis zum Ende fortzusetzen. Wir sind wieder einmal mehr beschämt. Der Gottesdienst in drei Sprachen ist immer ein Höhepunkt. Er führt uns zu den Wurzeln der gemeinsamen Identität über alle Unterschiede und Grenzen, über unsere Mängel und Defizite hinweg. Das erfahren wir auch im Zusammentreffen und den Gesprächen nach dem Gottesdienst. Geld für soziale Aufgaben wird dringend benötigt, davon haben wir uns überzeugen können und dankbar wird es angenommen.

Nach einer schnellen Suppenmahlzeit geht die Reise mit wieder voll gepackten Autos weiter nach Hunedoara. Neue Fabriken mit bekannten großen Namen sind entstanden. Die Straßen allerdings werden von Jahr zu Jahr schlechter. Angesichts unangenehmer Erfahrungen versuchen wir alle Kanaldeckel sorgsam zu umfahren. In Racastia werden wir von den Kindern im Dorf und unseren Freunden, den Familien Filip und Budai, mit großer Freude begrüßt. Ein halbes Jahr ist seit dem letzten Besuch vergangen. Über Telefon und Briefe wissen wir voneinander, wir wissen auch um die Notwendigkeit unseres Besuches. Über allen täglichen Problemen, die wir besprechen, steht dieses Mal die Freude, dass ein tiefer Riss in der Familie überwunden ist. Das macht vieles leichter. Dafür haben wir miteinander gerungen, geweint und gebetet, jetzt freuen wir uns gemeinsam darüber. Bei den Budais bereiten wir den Schulbesuch, sprich die Tüten für die Kinder, vor - Süßigkeiten, kleine Spiele, Kalender, für jeden annähernd das Gleiche. Die Schule und den Kindergarten wollen wir aber erst am Donnerstag auf der Rückreise besuchen. Adriana erzählt von ihrer Arbeit in einer deutschen Fabrik. Sie weint und das hat seinen Grund, aber sie hat einen Job. Wie wir uns dabei fühlen?

Am Abend besuchen wir Familie Karacsoni am Rand des Dorfes, die Roma-Familie. Vertrauensvoll kommen uns die Kinder entgegen und die Eltern warten freudestrahlend am Haus. Seit Weihnachten sind sie aus ihrer Bretterbude in das neu gebaute Häuschen gezogen und wir staunen drin nicht schlecht. Die Wände sind mit Gipskarton verkleidet, zwar noch ohne Farbe, aber dafür ist das Zimmer mit Möbeln ausgestattet. Wo uns noch vor einem halben Jahr in der alten Hütte nebenan das Ungeziefer zugesetzt hat, ist es jetzt fast penibel sauber. Die Freude und der Stolz darüber sind auf beiden Seiten groß. Viel ist bei der Familie passiert, das meiste aber im Kopf. Die Investition in das Vertrauen hat sich ausgezahlt und jeder Cent ebenso. Im Schein einer Kerze besprechen wir dann ihre weiteren Pläne. Bei Familie Filip, die für diese Familie das Geld von uns verwaltet und beim Kauf der Baumaterialien geholfen hat, lassen wir Geld für den Stromanschluss. Der Mutter geben wir etwas Geld für Lebensmittel. Nichts war mehr im Haus, der Vater wartet schon seit zwei Wochen auf den Lohn.

Der Abend vergeht mit Packen und Gesprächen am reichlich gedecktem Tisch bei Adriana und Andrej. Unser Haus ist euer Haus wenn ihr kommt, das sagen sie nicht nur, sondern sie gehen auch zum Schlafen in die Nachbarschaft. Bei Familie Filip vergehen die Stunden beim Reden auch sehr schnell und erst weit nach Mitternacht kehrt wieder Ruhe ein. Am nächsten Morgen bekommt Familie Karacsoni noch einige Lebensmittel und die Kinder ein Fahrrad und Spielsachen. Die Wachstuchtischdecke aus dem Gepäck vom Vorabend liegt schon auf dem Tisch. Man kann die Freude der Familie nicht beschreiben, wohl aber förmlich aufsaugen.

Mit Alexandru fahren wir zusammen weiter Richtung Balanu. Wieder heißt es umschalten im Kopf, denn wir wissen, dort wird uns vieles bisher Gesehene und Erlebte noch konzentrierter begegnen. Alexandru erzählt unterwegs von dem Dorf, denn er ist regelmäßig dort. Bei seinen Besuchen werden die Angelegenheiten des Dorfes und der Bewohner beraten. Auch hilft er beim Kauf und Transport des Baumaterials für das Gemeinschaftshaus und in der Küche, wenn die Kinder und Mittellosen des Dorfes zum Essen kommen. Die sechzig Kilometer durch landschaftlich herrliche Gegenden sind schnell zurückgelegt und wir haben das herrliche Panorama mit der schneebedeckten Gipfelkette vor uns. Das Wetter verspricht weiterhin schön zu bleiben. Für den Besuch in Balanu ist das nicht unwesentlich und erleichtert vieles. Nach einigen kleinen Dörfern erreichen wir das tief eingeschnittene Tal des Apa Mare, des Flusses, der aus dem hochgelegenen Stausee wild ins Tal fließt. Die riesige Baustelle auf dem letzten Grundstück vor Balanu ist fast fertig gestellt. Der zweite Mann des Staates hat sich hier ein privates Ferienobjekt gegönnt. Der Sicherheitsdienst patrouilliert mit Gummistöcken, wir freuen uns auf die Freunde zwei Kilometer weiter. Der miserable schmale Weg dorthin lässt uns und glücklicherweise auch die Autos kalt. Kaum sind die ersten Hütten zu sehen, flitzen auch schon die Kinder herum und schlagen Alarm. Wir werden erwartet. Gibt es Schöneres als solches zu wissen?

Herzlich ist die Begrüßung, egal ob bekannter oder bisher unbekannter Gesichter. Wir sind wieder zu Hause, auch hier. Ein wenig müssen wir die Begrüßung abkürzen, denn der Tag hat ein volles Programm. Etwas früher als wir sind in Temeswar Familie Kovacs und Dr. Iacob nach Balanu abgefahren. Wir schreiben den 1. Mai, in Rumänien auch ein Feiertag. Dr. Iacob, Arzt in Temeswar, hatte sich bereit erklärt, in Balanu die Kinder des Dorfes einen Tag lang kostenlos zu untersuchen. Jetzt müssen wir es vorbereiten. In der Kirche, einem kleinen Haus, wird die Arztstube eingerichtet, Medikamente und Materialien bis hin zum Arztkittel, zu Handschuhen und Zungenspatel griffbereit hingelegt. Wasser und Wasserkocher, Händedesinfektion und sonstiges kommt an seinen Platz. Dank der vielen Spender aus der Heimat war alles bis aufs letzte I-Tüpfelchen im Gepäck. Wir sind uns dessen beim Auspacken neu bewusst und wir werden uns in den nächsten Stunden und Tagen immer bewusster, wie wichtig jede helfende Hand zu Hause ist und wie effizient jeder gespendete Euro auch hier zum Einsatz kommt.

Das Arztzimmer ist fertig und schon rollen die Autos an. Die Jugendlichen der Gemeinde aus Temeswar sind mit dabei und wollen diesen Tag nutzen, um mit Familie Kovacs einige Stunden im Gebirge zu verbringen. Etwas Essen zum Grillen haben sie im Gepäck und freuen sich über den freien Tag im Retezat. Das Ultraschallgerät aus Dresden und das EKG-Gerät aus Erfurt haben nun auch Balanu erreicht. Sie werden aufgebaut, während die Kinder im Dorf das Signal zum Arztbesuch geben. Bald stehen die Erwachsenen mit den Kindern dicht gedrängt vor der Kirche und warten geduldig. Und es ist klar, dass die Zeit bis halb sechs am Abend für den Arzt nicht langweilig wird.

Cristina, unsere Partnerin im Dorf und Tochter des Predigers, kennt natürlich jeden, und als Mutter von drei Kindern assistiert sie dem Arzt so, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Am Abend waren ungefähr sechzig Kinder, dazu viele Erwachsene untersucht und teilweise mit Medikamenten entlassen. Das Ergebnis ist alles andere als beglückend, weil nahezu neunzig Prozent der Kinder an massiver Mangelernährung und daraus resultierenden Nachwirkungen leiden. Chronische Bronchitis durch ständige Erkältungen, Asthma, Darmerkrankungen, Herzfehler, ein vermutlicher Hirntumor und bei fast allen Kindern Würmer im Darm - das Ergebnis des Tages hat selbst den Kinderarzt fast zum Umkippen gebracht. Das grundsätzliche Problem sind die Ernährung und die hygienischen Verhältnisse im Dorf. „Fleisch, Milch und Käse könnte den Kindern helfen, und viele Vitamine!“ Dr. Iacob weiß, was er da sagt und gerade das macht es ihm schwer. Cristinas Kuh, die einzige im Dorf, ist vor einigen Wochen bei Regenwetter den Hang herunter gerutscht. Ihre Wirbelsäule war gebrochen und die Notschlachtung war nicht mehr nötig. Am Ergebnis der ärztlichen Untersuchung haben wir noch lange zu kauen. Und doch sehen wir in den Augen und durch die Gespräche hindurch, dass sich die Menschen im Dorf verändert haben. „Viel offener sind sie geworden.“ So hat es Pfarrer Kovacs einige Tage später in Temeswar beschrieben und er hat wirklich nicht viel Zeit im Dorf verbracht.

Am Abend werden die Autos zum letzten Mal entladen. Immer wieder rufen uns die Kinder vom Zaun aus und wir laden sie für den nächsten Tag in die Kirche ein. Viel wird noch erzählt und die nächsten Tage beim Essen geplant, bis wir müde auf unsere Lager fallen. Immer wieder erscheinen die Kinder mit dem Arzt vor unseren Augen, schon um das Resultat wissend. Die Gedanken darüber lassen die Nacht lang werden und den Schlaf nur schwer finden. Wir stehen hier nur einige Autostunden von Deutschland entfernt, aber doch in einer anderen Welt. Das fordert uns heraus.

Am nächsten Morgen fährt ein Teil unserer Gruppe nach Hateg, um Obst und Gas zu kaufen. In Balanu wird die Kinderspeisung abgerechnet und der Weiterbau des Hauses besprochen. Neu ist uns durch den gestrigen Tag klar geworden, wie wichtig hier das Haus mit Sanitäreinrichtungen, einer ordentlichen Küche für die Sozialspeisung und dem Arztzimmer ist, und wieder können wir Geld für Baumaterial übergeben. Wir erzählen davon, wie viele Freunde und Bekannte zu Hause mithelfen und dass sie es gern tun. Cristina und die Familien um sie herum wünschen jedem dafür Gottes Segen. In den ersten Frühlingswochen haben sie die Kellerdecke des Hauses fertig betoniert. Jetzt kann es weiter gehen.

Gegen zwei kommen dann die Kinder und mit unseren Frauen werden die fünfzehn Kilo Obst für den Salat klein geschnitten. Wir sehen, dass sie im Umgang mit den Küchenmessern nicht ungeübt sind und wie viel Spaß sie haben, gemeinsam mit uns etwas zu unternehmen.

Im Kindergottesdienst suchen wir mit ihnen aus neun verschiedenen Eiern das Schönste und das Einfachste. Dann denken wir über den Inhalt dieser beiden nach. Klar war, dass das schönste Ei, ein Schmuck-Ei mit Textil aus Deutschland, innen aus PVC war, während das einfachste Ei, nämlich ein normales rohes Ei aus Balanu, neben Eigelb und Eiweiß, Leben in sich trägt. Das, mit einigen Worten Jesu verbunden, braucht selbst bei den Kindern keine große Erklärung. Viele von ihnen haben schon oft erfahren, was und wer sie trägt und hilft. Danach bleibt vom Obstsalat kaum ein Krümel. Mancher kommt drei Mal, denn es schmeckt einfach prima.

Unter donnerähnlichen Geräuschen geht es über die Blechbrücke zur Wiese auf der anderen Seite des Flusses. Das wackelige Geländer ist wohl nur noch den Vögeln zur Ruhepause nützlich und die Löcher im losen Blechboden lassen uns erschrocken staunen. Die Kinder kennen das alles und springen locker darüber. Das Seil reißt natürlich beim ersten Versuch des Tauziehens, aber das tut nichts zur Sache. Geknotet, gewinnt auch die zweite Mannschaft, weil die stabile Marinetta ins Geschehen eingreift. Ballspiele bis zum Umfallen, zwischendurch wird geweint und gelacht, fotografiert und gefilmt, verloren und gewonnen.

Am Ende dieses Tages haben wir alle gewonnen. Die Prämien sind viele Freunde und dazu die Erkenntnis, dass wir mit ihnen auf dem Weg sind, gleichberechtigt, wenn auch unter ungleichen Verhältnissen, wohl aber mit den Möglichkeiten, andere von unseren materiellen Vorteilen profitieren zu lassen. Wir erleben, dass wir eine große Familie sind, und das drucken wir mit farbigen Händen auf Bettlaken. Jede Hand mit Namen steht für einen Menschen, aneinander gereiht ergeben diese Hände einen Kreis, ein Symbol für die Familie und das eine Leben, das uns allen geschenkt ist, gleich welcher Nationalität und Ansicht. Das in Balanu so wahrzunehmen, kann niemand mit Worten weitergeben. Das wissen wir und genießen jeden Schritt. Das traditionelle Stockbrotessen vereinigt dann Junge und Alte am Feuer, mittendrin wieder die taubstumme Victoria und der Ziegenhirte.

Mittwochmorgen, der Bäcker bringt das Brot ins Dorf. Cristinas Mutter nimmt es an und verkauft es an die Leute aus dem Dorf. Wer kein Geld mehr hat, schickt die Kinder. Sie bekommen das Brot und es kommen viele Kinder. Wir gehen in die Schule und den Kindergarten. Dort freuen wir uns, dass alles in Ordnung ist, die Kinder spielen mit uns bekannten Dingen. In der Schule erkennen wir neben Schulranzen und Heften aus Deutschland die Kleidung und die Schuhe von früheren Fahrten. Wir überbringen Grüße, Basteleien, Schul- und Bastelmaterial aus unseren Schulen und Kindergärten. Und da sitzen sie nun wieder vor uns, unsere Freunde, mit denen wir am Tag zuvor gespielt haben, die beim Arzt saßen und die so auf uns gewartet hatten.

Am Nachmittag begleiten sie uns, während wir bei einigen Frauen Körbe kaufen, die für uns gefertigt wurden. Das Haselnussholz der Körbe ist noch feucht, sie merken, dass wir auch bezahlen und nicht nur bestellen. Viel hat sich in den Ein-Raum-Hütten nicht verändert. Da und dort ist noch ein Baby dazu gekommen, das Leben geht weiter. Wir reden mit den Menschen im Dorf übers Wetter, die Kinder, die Krankheiten und die Möglichkeiten. Offen blicken sie uns ins Gesicht, sie merken vielleicht, dass wir ihnen die Hände reichen und auf gleicher Augenhöhe begegnen möchten. Und wir spüren, dass sie aus dem Dickicht ihrer Umstände und Verhältnisse langsam auftauchen. Einige von uns gehen mit den Kindern nochmals spielen oder spazieren. Sie kleben förmlich an uns.

Zu Hause übergeben wir Cristina die Medikamente für das Dorf und verabreden uns mit den Eltern der Jugendlichen, die wir bei der Ausbildung unterstützen. Wir brauchen ihre Kinder auch im Dorf bei anstehenden Aufgaben und kleinen Hilfen. Das setzen wir ein wenig als Bedingung und wir merken, dass es funktioniert.

Am Abend besuchen wir in kleiner Runde den Bürgermeister. Es ist mehr als ein diplomatischer Besuch. Er weiß, dass wir das massive Gebäude vor dem Dorf nutzen wollen. Aber er kennt auch die Verflechtungen darum und insgesamt im Land. Wir reden sehr offen und müssen auf den richtigen Zeitpunkt warten, genau wie er. Dann werden wir die Möglichkeit bekommen, dort eine Werkstatt für das Dorf zu etablieren.

Am Abend wissen wir, dass es der letzte Abend ist und denken an den Abschied. Gut, dass am nächsten Morgen die Kinder in der Schule sind. Mit diesem Gedanken gehen wir dann, früher oder später, in unsere Betten.

Und so schnell ist er wieder da, dieser ungeliebte, letzte Morgen, das Frühstück, das Packen, ein letztes Foto und dann das „Auf Wiedersehen“. Wir wissen alle, dass wir es nicht nur sagen, sondern dass wir es uns von Herzen auch wünschen, das Wiedersehen, gegenseitig und jeder für sich.

Gut, dass die Kinder in der Schule sind, wir steigen in die Autos und sehen zurück. In Schwarz gekleidet, mit ihren langen schwarzen Haaren und den großen schwarzen Augen steht plötzlich Patricia auf dem holprigen Weg und sieht uns nach. Sie war nicht in der Schule. Müsst ihr schon gehen und wann kommt ihr wieder? In ihren Augen sehen wir sie doch alle wieder stehen, die Kinder von Balanu und ihre Eltern und Großeltern und alle fragen sie uns das Gleiche. Wir haben eine Verantwortung übernommen und diese Augen entschädigen für jeden Aufwand. Wie schon so oft fahren wir von hier schweigend ab und sitzen viel zu schnell in der Schule in Racastia.

Erwartungsvoll blicken uns wieder Kinder an und wieder macht es Spaß, eine Stunde mit ihnen zu verleben. Natürlich erwarten sie gespannt die Tüten und freuen sich, als sie die Köpfe hinein stecken. Vieles muss heute schneller gehen und doch wird alles in Ruhe besprochen. Vom Rest des Geldes in der Schule muss die Wasserpumpe repariert werden. Natürlich sind wir einverstanden.

Nach der ausgiebigen Mahlzeit bei Familie Filip folgt wieder der unvermeidliche Abschied. Auch sie können nach unserem Besuch freier atmen und die anstehenden Arztbesuche „erledigen“. Die Karacsoni-Kinder kommen auch noch schnell vorbei, natürlich mit dem Fahrrad. Wir sagen und wünschen uns auch in Racastia das „Auf Wiedersehen“ und zurück geht es nach Temeswar.

Wieder mal duschen, ein WC, frisch renovierte Räume, neu entdeckter Luxus. Am Abend haben uns die Presbyter zum Essen eingeladen, dazu kommt Gulasch im Kessel frisch vom Feuer. Wir versuchen, von unseren Eindrücken zu berichten und merken selber, wie wir stammeln. Aber sie verstehen uns und im Beisammensein erfreuen wir uns aufs Neue an der Herzlichkeit.

Der nächste Morgen ist nun endgültig der letzte unserer Reise. Auch bei Familie Kovacs folgt ein letztes „Auf Wiedersehen“ und für manchen von uns ist die Rückreise einfach zu kurz.

Wir kommen zu Hause an, bei unseren Familien und Freunden. Wir wollen erzählen. Hört uns jemand zu? Oder ist die Frage nach dem „Wie war’s denn?“ nur ein Ritual nach dem Urlaub? Wer dabei war, hat viel erlebt. Erfahren haben wir, neben vielem, dass wir mit den uns geschenkten Möglichkeiten kleine Welten verändern können, wenn wir es nur wollen und wenn wir wagen, kleine Schritte miteinander zu gehen. Viele kluge Leute haben schon viele wirklich gute Worte gesagt. Gehörtes umzusetzen, liegt in der Verantwortung jedes und jeder Einzelnen. Kein Lachen, keine Träne und kein Meter des zurückgelegten Weges tun uns leid, denn alles hat uns bereichert.

Dankbar geben wir alle Grüße auf diesem Wege an Sie alle weiter, die Sie es ermöglicht haben, das zu erleben, zu tun und zu erfahren.

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