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Oktober 2004 - Von der Not-Wendigkeit der kleinen Schritte

Der Kalender zeigt die letzten Tage des Monats Oktober 2004. Hinter uns liegt die letzte Reise nach Rumänien und wir versuchen, Erlebtes aufzuschreiben und zusammenzufassen. Immer wieder ist es nur ein mühsamer Versuch, denn das wirkliche Leben dort in den Häusern und Hütten, das Leben unserer Partner und Freunde hat eine eigene Sprache, nicht nur wegen des gesprochenen Rumänisch.

Diese „Sprache“, nämlich das Leben vor Ort, die Menschen in ihren Situationen, mit dem täglichen Stellungskampf kennen zu lernen und daran ein kleines Stück teilhaben zu können, ihre Freude zu erleben, das macht uns Mut. Solche Erfahrungen wollen wir an dieser Stelle an alle weiterreichen, die uns wieder unterstützt haben, so dass diese Fahrt möglich wurde.

Vieles ist eingepackt, vom Ultraschallgerät über Medikamente, Lebensmittel, Süßigkeiten, Werkzeuge, Kleidung und Schuhe bis hin zu Schul- und Bastelmaterialien und Spielzeugen. Nur mühsam können wir am Mittag des 5. Oktober noch das eigene Gepäck verstauen, bis sich die Türen des Autos schließen. Die Plüschpuppe mit dem Logo des Arbeitskreises zeugt, auch mit platt gedrückter Nase, an der Rückscheibe des Autos von der großen Zahl der Helfer, die sich an dieser Fahrt wiederholt eingebracht haben. Die durchgedrückten Federn des Autos weisen auf die Last hin, eine freudige. Auch die gefüllten Briefumschläge, vorsortiert und gut verwahrt für ihre Bestimmungen, machen uns Freude und Mut.

Wir starten, aufgeregt und gespannt auf die vor uns liegenden neun Tage in Rumänien. Das Passieren der Grenze bei Cenad verläuft ohne Probleme, einige Komplimente an den rumänischen Beamten bezüglich der neu errichteten Gebäude an diesem kleinen Grenzübergang bringen seine Augen zum Leuchten. Ohne sich nur zu erheben, wünscht er uns einen schönen Urlaub und wir sind durch. Gott sei Dank dafür! Anders als gewöhnlich ist die erste Station Hunedoara. Doch für eine Stunde und ein kurzes Frühstück machen wir Pause in Temeswar.

Es ist wirklich früh und noch dunkel, doch es ist alles vorbereitet. Für eine herzliche Begrüßung, ohne alle sonst in diesem Land so wichtigen Förmlichkeiten, brauchen wir nicht viel Zeit. Wir sind willkommen, auch frühmorgens, vier Uhr, egal ob gut bekannt oder als Erstreisende.

Bald geht es weiter, noch einmal drei Stunden, bis wir in Racastia, dem kleinen zu Hunedoara eingemeindeten Dorf, eintreffen. Froh und dankbar, dass die Reise problemlos verlief, erleben wir wieder eine herzliche Begrüßung und essen am reich gedeckten Tisch von den Spezialitäten der Hausfrau. Es tut sich bei ihnen einiges, schon am Telefon haben wir es vor der Reise erfahren. Adriana und Andrej renovieren ihre Wohn- und Schlafzimmer.

Bei Familie Filip staunen wir auch nicht schlecht, denn der Hof ist bedeutend kleiner geworden. Sie haben eine Küche angebaut. Noch nicht ganz fertig gestellt, freuen sich alle darauf, dass die Eltern bald nicht mehr mit drei Kindern zwischen 2 und 18 Jahren gemeinsam in der bisherigen Küche, teilweise im Sessel, schlafen müssen.

Der Nachmittag vergeht mit dem Aus-, Um- und Verpacken der Materialien aus dem Auto und dem Tütenfüllen für die Kindergarten- und Schulkinder. Dann steht noch der Einkauf auf dem Markt an, damit wieder der Wintervorrat an Kartoffeln und manch anderes erledigt wird.

Wieder zu Hause, bleibt endlich etwas Zeit zum Reden, die Küche ist zwar fast fertig, aber so manche Rechnung noch offen. Hier füllen wir wieder einige Lücken, die Empfänger danken es uns mit Tränen. Der Sommer war gut, auch wenn so manches drückt. Strom und andere Nebenkosten steigen unaufhörlich. Und doch spüren wir ein anderes Klima als vor Jahren. Sie haben Mut gewonnen und haben aufgehört, aufzugeben. Sie wissen um ihre Freunde und machen etwas aus den Hilfen, sie gehen in kleinen Schritten, aber eben vorwärts. Wir freuen uns über ihren Mut angesichts der Umbauten. Wenn alles fertig ist, wird das tägliche Leben ein wenig normaler ablaufen. Wer sich der Situation von vor einigen Jahren erinnert, kann sich mitfreuen. Es wachsen nicht nur die Häuser, sondern sie sind ein Ausdruck gewachsener Hoffnung und sich wendender Nöte. Noch oft werden wir das genau so erfahren auf unserer Reise. Bis spät in die Nacht wird geredet und wir erfahren einiges mehr über Menschen und Situationen in Racastia.

Der nächste Morgen beginnt für uns mit dem Schulbesuch. Punkt zehn Uhr betreten wir die Schule und staunen nicht schlecht, alle Kinder in traditionellen Trachten anzutreffen. Kindergarten- und Schulkinder führen uns ein folkloristisches Programm vor mit Gedichten, Liedern und Tänzen. Ausdrucksstark tragen sie auf ungarisch und rumänisch das vor, was sie seit fünf Wochen einstudierten. Sie haben sich auf unseren Besuch gefreut und geben uns dieses Erlebnis mit nach Hause. Wir erzählen von der Notwendigkeit eines guten Miteinanders, vom Aufeinander-Achten und Füreinander-Dasein am biblischen Beispiel des Samariters. Und wir erzählen es nicht nur den Kindern, sondern auch den anwesenden Eltern und Großeltern. Nach dem Verteilen der Tüten, gefüllt mit Salami, Süßigkeiten und kleinen Geschenken, haben wir im Hof noch gute Gespräche mit Eltern und Großeltern. Wir erfahren, wie sie sich freuen, dass wir kommen, sprechen über die Kinder und das Leben. Es sind keine Förmlichkeiten, die ausgetauscht werden. Die Menschen sind offen und freundlich, auf dem Schulhof und überall im Dorf.

Im Gespräch mit der Lehrerin und der Kindergärtnerin beauftragen uns beide, all denen zu danken, deren Hilfen ankommen. Schul- und Bastelmaterialien und Spielzeuge bleiben im Hause. Wir erfahren, dass es weniger Kinder geworden sind, weil die Möglichkeiten in der Stadt attraktiver sind. Was denn der Schule fehlt, um sie attraktiver zu machen, wollen wir wissen und erfahren, dass es eben auch ein Computer ist. Da können wir finanziell helfen und nach wenigen Tagen steht ein Gebrauchtgerät zur Verfügung. Bildung muss gefördert werden, darüber sind wir uns einig. Auch davon wird noch einige Male mehr zu berichten sein.

Am Abend wollen wir Familie Karacsoni besuchen. Mit fünf Kindern leben sie seit einigen Monaten im Ort unter ziemlich schwierigen Verhältnissen, erfahren wir von unseren Freunden. Wir wollen uns das ansehen und gehen nur wenige Meter. Am Rand des Dorfes ist die Hütte sichtbar. Wie man das, was wir dann sehen und erfahren, noch "Leben" nennen kann, wissen wir nicht. Vieles haben wir schon kennen gelernt, aber hier wird die Schmerzgrenze wieder deutlich überschritten. Schnell wird beim Näherkommen den Kindern von der größeren Schwester noch das Gesicht feucht abgewischt. Wir fragen die Mutter, ob wir einen kurzen Besuch machen können. Natürlich dürfen wir, die Tür steht sowieso den ganzen Tag offen.

Vor dem Haus wurde ein tiefes Loch in den Berg gegraben, um Lehm zum Verstreichen der Bretterbude zu gewinnen. Das Dach, bestehend aus zusammengestellten Blechen kann nur mühsam einem Wind standhalten. Wir treten ein in das einzige Zimmer mit den sechs bis acht Quadratmetern. Zwei Liegen, ein Blechspind und zwei Hocker sind das Mobiliar, ergänzt durch den gemauerten Ofen in der Ecke. An der Decke unter der schwarzen Plastikfolie baumelt eine Glühlampe von einem Auto und draußen hinter der Tür steht die Autobatterie von unserem Freund Andrej. Sieben Personen „leben“ in diesem Raum. Einige von uns haben solche Situationen schon erlebt, trotzdem stockt der Atem immer wieder und immer neu.

Wir stellen uns kurz vor und erzählen von unseren Freunden, die uns auf ihre Familie hingewiesen haben. Wir fragen nicht, wie es ihnen geht, sondern was sie zum Abend zu essen haben. Etwas Kraut ist noch übrig. Die Kinder zwischen einem und vierzehn Jahren werden etwas zutraulicher und machen auch einen kleinen Spaß mit, obwohl uns nicht nach Scherzen zumute ist. Auch die Mutter erzählt, der Vater ist noch als Tagelöhner unterwegs. Seit fünf Monaten sind sie im Dorf. Aus Ungarn wegen Schwarzarbeit ausgewiesen, haben sie hier ein Grundstück mit ihrem ganzen Geld erworben. Für den Notarvertrag war nichts mehr übrig. Also sind sie wieder "zum Abschuss freigegeben". Nach einer Stunde Gespräch einigen wir uns, dass die große Tochter wieder die Schule besuchen sollte und die Kleinen zum Kindergarten gehen werden. Dann vereinbaren wir mit der Mutter, für ein halbes Jahr täglich ein Brot zu bezahlen und überlassen für den Notarvertrag, für Feuerholz und für Baumaterial für ein zweites Zimmer Geld bei unseren Freunden. Andrej wird mit dem Vater das Material günstig kaufen und transportieren.

Mit der Mutter gehen wir noch am Abend in das Lebensmittelgeschäft, sprechen alles mit der Inhaberin ab und lassen sie eine Tasche voll mit dem Nötigsten einkaufen. Schon lange ist es dunkel als wir zurück sind und noch schwieriger ist der Weg zur Hütte. Brennender Kalk in einer Suppenkelle auf dem Ofen gibt nur wenig Licht im Raum.

Für den nächsten Morgen ist verabredet, dass wir mit der Mutter die Kinder in den Kindergarten bringen. Der Kleinste hatte keine saubere Hose, konnte also nicht mit. Zu sehen, wie sensibel die Lehrerin die Kinder von fünf und sechs Jahren das erste Mal in ihrem Leben an Spielsachen heranführt, wie die Kinder sie in die Hände nehmen, während die Gruppe das Frühstück zu sich nimmt, wie die Augen der Mutter dabei zu leuchten beginnen, lässt sich nicht mehr beschreiben. Not-Wendigkeiten im Leben einer Familie sind das. Wir besprechen mit der Lehrerin den eventuellen Schulbesuch der größeren Tochter, bevor wir uns Richtung Temeswar verabschieden.

Adriana und Alexandru, unsere Freunde, begleiten uns. Angekommen, treffen wir uns mit den beiden Fahrern des zweiten Kleinbusses aus der Heimat, die, ebenfalls restlos vollgepackt, gut über die Grenze und wohlbehalten angekommen sind. Zusätzlich zu Lebensmitteln, Kleidung und vielem andern haben sie auch ein Pflegebett transportieren können. Wir besichtigen die neu renovierte Kirche und freuen uns über das respektable Ergebnis. Dazu einen Teil mitfinanziert zu haben, ist ein gutes Gefühl, an dem wir alle Beteiligten zu Hause gern Anteil nehmen lassen. Da Pfarrer Kovacs erst am Samstagabend von der Dienstreise zurück ist, nutzen wir die Zeit, die geplanten Besuche zu erledigen.

Vorher jedoch steht noch der Termin mit Dr. Iacob an. Wir übergeben ihm die Medikamente. Das mitgebrachte Ultraschallgerät wird sofort an Alexandru getestet und bescheinigt ihm auch sogleich einen kleinen Nierenstein. Unsere Frage nach einer eventuellen Schwangerschaft wird nicht bestätigt. Das Gerät wird an dieser Stelle gute Dienste leisten.

Frau Petrescu, die Altenpflegerin, führt uns zu den Gemeindegliedern. Alle Baustellen scheinen sich in Temeswar vereinigt zu haben.

Als erstes bekommt Frau Schuller das neue Pflegebett. Sie ist darüber sehr glücklich, weiß sie doch, dass sie, inzwischen fast steif, durch ihren stabilen Körperbau nur schwer zu pflegen ist und noch schwerer aufstehen kann. Das Bett ist eine Not-Wendigkeit, die sie dankend annimmt.

Frau Gindel und weitere Besuchte freuen sich, uns zu sehen und mit uns reden zu können. Mut zum Leben haben sie alle, auch wenn vieles schwer ist. „Der Glaube hilft uns und der Pfarrer auch!“, sagen sie und wir spüren, dass es keine Floskeln sind, sondern so etwas wie ein Fundament, das sich bewährt hat im Leben.

Iosi, der uns im Sommer besuchte, bekommt eine elektrische Kettensäge. Er kann es kaum glauben. Gern wird er nicht nur für seine Mutter, sondern auch für die Gemeinde damit Feuerholz schneiden. Am Nachmittag kommt dann auch Pfarrer Kovacs zurück. Vieles gibt es zu erzählen. Eine Feier steht an für alle Helfer der Kirchenrenovierung. Ob er von den Lebensmitteln etwas dafür verwenden darf, fragt er uns.

Stolz berichtet uns seine Frau vom neuen Büro und der neuen Küche in ihrer Gemeinde und den Fliesen darin, die wir vor einigen Jahren mitbrachten und die bisher noch übrig waren. Wir sehen uns alles an und merken, wie in kleinen Schritten auch hier vorwärts gegangen wird. Daran teilhaben zu können und mitzuhelfen, bestätigen wir auch jedem Einzelnen und wünschen es jedem, die Freude unserer Freunde selbst einmal zu erleben.

Nach dem gemeinsamen Gottesdienst am Sonntag steht das Treffen mit dem Presbyterium an. Wir können wieder den jährlichen Lohn für die Sekretärin und die Aufgaben der Kirchgemeinde übergeben und dankbar wird alles angenommen. Auch für alle Sachspenden, vom Inkontinenzmaterial bis zur Erbsensuppe, Gummibärchen und Buntpapier, geben wir gern die Dankesgrüße weiter. Alles hilft und kommt zum Einsatz, wir wissen und erleben es.

Wieder alles sortiert und gepackt geht es am Nachmittag mit einem vollen Auto weiter Richtung Balanu. Das zweite Auto wird am Montag Richtung Heimat fahren. Schön ist das Wetter nicht, denn es gießt wie aus Eimern. Hoffentlich nicht in Balanu, denn dann bleibt dort das Auto stecken. Vier Stunden bleiben jetzt Zeit, um Erlebtes zu verdauen, abzuspeichern und sich auf Neues einzustellen. Wir wissen, dass noch einiges vor uns liegt und wir freuen uns darauf. Kurz vor Balanu hört auch endlich der Regen auf und das Tal in der Gebirgskette des Retezat liegt in Dunst und Nebel eingehüllt. Schon bald quält sich das Auto über den holprigen Weg zum Dorf hin und freudig aufgeregt werden wir begrüßt.

Familie Leon erwartet uns und bevor es dunkel wird, laden wir das Auto noch aus. Einige Stunden dauert das Sortieren, alles muss gleich dorthin, wo es hingehört, denn der Platz ist überall knapp. Groß ist die Freude besonders über die Kettensägen aus Tabarz. Sie werden für viele eine große Erleichterung sein, wenn das Feuerholz klein geschnitten wird. Auch der neue Akkuschrauber wird gute Dienste tun, so etwas gab es hier noch nicht. Endlich alles vorsortiert, kommen wir etwas zum Erzählen. Die nächsten zwei Tage sind zu planen und da steht noch so manches auf dem Programm. Cristina und ihre Schwester Margaretha absolvieren seit drei Wochen ein Praktikum im Altenheim, zweihundert Kilometer entfernt in Sibiu. Ab Montag haben sie einige Tage frei. Sie fehlen schon im Dorf, bewältigen sie doch einen großen Teil der Arbeit in der Kinderspeisung und Cristinas drei Kinder vermissen die Mutter.

Wir machen uns am Montagmorgen auf den Weg dorthin. Einige Stunden dauert die Fahrt über die Landstraßen, wo sich LKWs mit Pferdefuhrwerken abwechseln. Quer durch Siebenbürgen geht es und abwechslungsreich ist die Landschaft. Der Regen vom Morgen lässt endlich nach, trotzdem sehen die einst blühenden deutschen Dörfer ziemlich trostlos aus mit den verlassenen Häusern und Höfen. Wer will es den Ausgereisten verdenken, bei den Verwandten in Deutschland auf ein besseres Leben zu hoffen, auch wenn die Heimat und das Verbundensein in der dörflichen Gemeinschaft damit unwiederbringlich aufgegeben werden? Am Rande von Sibiu, zu Deutsch Hermannstadt, entstehen in Gewerbegebieten einzelne Firmenansiedlungen westlichen Ursprungs. Hoffnungsschimmer für die vielen Arbeitslosen und rentable Aussichten für die Chefetagen, denn Arbeitskräfte sind im Osten Europas sehr billig. Wer in einer der Firmen eine Chance auf einen Arbeitsplatz hat, bekommt damit jedenfalls etwas Stabilität ins Leben. Doch Balanu ist weit entfernt, nicht nur wegen der zweihundert Kilometer, und es gibt noch viele „Balanus“ im Land.

Endlich stehen wir vor der kleinen Mietwohnung am Rande der Stadt und treffen die beiden Schwestern aus unserem Balanu, hier, in einer anderen Welt als der ihren. Gleich spüren wir aber, dass sie sich gut zurecht finden und das erleichtert. Ein Zimmer bewohnen sie in der neu renovierten Wohnung. Hundert Euro plus Nebenkosten kostet es pro Monat, mehr als die meisten im Land verdienen, aber auf alle Fälle eine gute Chance, die auf ihr Leben einen großen Einfluss haben wird. Gemeinsam besuchen wir noch die Vermieterin, um die Frage der Nebenkosten zu klären und den Mietvertrag zu unterschreiben.

Im Alten- und Pflegeheim „Dr. Carl Wolff“, einem deutschen, christlichen Haus, treffen wir dann die Pflegedienstleiterin und unterhalten uns beim Mittagessen ausgiebig mit ihr. Ein Inhalationsgerät und Verbandsmaterialien finden im Haus dankbare Abnehmer. Sehr gut fügen sich die beiden Schwestern ein, auch wenn der Anfang schwierig war. Wir erzählen noch mal von Balanu und der sozialen Situation dort und merken dabei, wie gut sie aufgenommen worden sind und wie sich die Mitarbeiter mit ihnen arrangieren. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen, von dem beide Seiten profitieren. Sie lernen jetzt Menschen zu waschen und zu pflegen, ihnen Essen zu geben, alles zu reinigen und sauber zu halten. Sie erleben den Umgang mit den Menschen, die Beschäftigungstherapie und die gemeinsamen Gottesdienste und Feierlichkeiten. Sie bereiten mit vor und leben in dieser Gemeinschaft. Wer Balanu mit seinen Hütten, Menschen und Verhältnissen jemals gesehen hat, kann ein wenig ahnen, welche Welten bei unseren beiden Schwestern aufeinander prallen. Wir sind sicher, dass daraus viel Gutes erwachsen wird, wichtig für sie selbst und die Familie, aber auch für die Menschen in Balanu, für deren bessere Zukunft wir gemeinsam mit ihnen ringen.

Da beide einige Tage frei haben, fahren sie mit uns zurück. Mit den beiden Freunden aus Racastia haben sie viel zu besprechen auf der Rückfahrt. Alexandru war einige Male in Balanu und hat bei der wöchentlichen Essenvorbereitung für die Kinder und Armen des Dorfes mitgeholfen. Jedes Mal kommen dazu fünfzig bis sechzig Personen. Viele Fotos davon bekommen wir zu sehen und sind mehr als glücklich, dass das alles gut läuft.

Unterwegs machen wir noch einen Kurzbesuch bei der Familie in Calan. Inzwischen sind es neun Kinder. Für sie haben wir, wie seit einigen Jahren, wieder einige Pakete von einer Familie zu Hause im Gepäck. Die Kinder kennen uns schon und auch bei den Kleinsten ist die Scheu der Freude über die Pakete gewichen. Die Eltern sind dankbar, dass der Sommer ohne Krankheit und Probleme verlief und eine neue Heizung eingebaut werden konnte.

Bald geht es weiter und in Balanu angekommen, freuen sich besonders der Mann und die Kinder darüber, Frau und Mutter wieder zu sehen. Wir machen noch einige Besuche im Dorf. Es ist etwas abgetrocknet und so fällt der Weg etwas leichter. Viel hat sich in den Hütten nicht verändert und vieles begegnet uns wieder. Marinetta, Anfang vierzig ist eine stabile Hilfe in der Küche geworden. Ihre kleine Tochter Maria geht mit vierzehn anderen Kindern des Ortes in den neu gegründeten Kindergarten. Das ist für uns eine große Überraschung. Gern sagt sie uns ein Gedicht und ein Gebet auf. Gelerntes wiederzugeben macht Spaß, wir spüren es deutlich. Auf dem Rückweg treffen wir einige Jugendliche, die wir kennen und gehen mit Raluca zusammen zur kleinen Kirche zurück. Dort haben wir Licht und können mit ihr reden. Sie besucht jetzt die achte Klasse und hat sehr gute Ergebnisse. Wir hören von ihr, dass sie gern auf das Lyzeum in Hateg gehen würde, die Voraussetzung, um einmal Krankenschwester zu werden. Gemeinsam gehen wir zu ihr nach Hause. Die Mutter hat gerade die ganze Küche mit Paprika und Tomaten ausgelegt, um Gläser zu füllen. Wir besprechen den Lyzeumsbesuch ihrer Tochter mit ihr und versprechen, sie dabei mit dem Fahrgeld in die Stadt zu unterstützen. An neunzig Euro im Jahr für dieses Fahrgeld hängt eben die gesamte Zukunft für einen Menschen in Abhängigkeit von seiner Bildung und Ausbildung. Da wollen wir weiterhelfen. Mit anderen Jugendlichen laden wir Raluca dann für den nächsten Nachmittag in die Kirche ein. Wir wollen einen Kindernachmittag mit ihnen gestalten. Vieles besprechen wir noch an diesem Abend, während sich die kleinen Kinder mit den neuen Spielzeugen beschäftigen.

Der nächste Morgen beginnt mit dem Schulbesuch. Für unseren Erstreisenden, Lehrer an der Grundschule Apfelstädt, ist das neben dem Schulbesuch in Racastia wieder ein wichtiger Termin, hat er doch auch für diese Kinder vorbereitete Plakate und Basteleien seiner Schüler im Gepäck, ebenso auf Kassette gesungene Lieder. Doch ganz so einfach ist es nicht, in die Schule hinein zu kommen, denn irgendwie blockiert dort das Türschloss. Erst der Einsatz einer eisernen Stange und einer Axt gibt den Weg frei, ohne größere Schäden. So wachsen selbst Kleinigkeiten zu Abenteuern. Die Schulkinder und der Lehrer freuen sich sehr über die Grüße unserer Schüler. Die Basteleien aus Herbstmaterialien werden auch gern als Modelle angenommen. Vier Klassen werden in dem kleinen Raum gleichzeitig unterrichtet. Manchmal sind es nur zwei Kinder pro Klasse, trotzdem für uns schwer vorstellbar.

Im Schulgebäude ist ein ehemaliges Büro als Kindergarten umfunktioniert worden. Momentan ist die Kindergärtnerin erkrankt, wir können trotzdem hineinsehen. Der Raum, ungefähr fünf mal zwei Meter groß mit kleinen Tischen, Stühlen, einem Schrank und einer Glühlampe ausgestattet, erinnert mehr noch an ein Büro, aber es ist doch ein ausgezeichneter Anfang. Man braucht eben immer wieder Visionen. Nur so werden wir erleben, dass hier bald richtig gute Möglichkeiten für die Kinder aus Balanu stehen. Spielzeug, Schulranzen, Kreide, Hefte, Stifte und manches mehr lassen wir für die Kinder da und wissen jetzt, dass es nach Bedarf ausgegeben wird. Der Lehrer ist ein offener und fröhlicher Mensch und bittet darum, am Nachmittag beim Spielen in der Kirche mit dabei sein zu können. Natürlich kann er.

Bevor die Kinder kommen, besprechen wir mit Cristinas Mann Angelut den Neubau eines Hauses. Ihre Pappbude, ein ehemaliger Kuhstall, ist bald am Zusammenbrechen und es muss etwas passieren. Dass dabei eine Etage für die Kinder des Dorfes gebaut werden soll, wird uns nochmals bestätigt. Wir staunen über diesen Mut und die Bereitschaft und versprechen, nach Kräften dabei zu helfen. Eine neue Küche, ein Raum für die Kinderspeisung, ein Arzt- oder Besucherzimmer, ein Bad und das erste WC im Ort entstehen als Skizze. Wir überlassen ihnen das erste Geld für Baumaterial und sind gespannt auf den nächsten Besuch. Sie meinen es ernst, alles für das Dorf zu tun und dafür, dass die Kinder des Dorfes eine bessere Chance bekommen als bisher. Nächstenliebe von Montag bis Sonntag, ganz praktisch und gebaut auf dem Fundament des Glaubens, das wollen wir unterstützen und in einiger Zeit gemeinsam die Ergebnisse feiern. Vor Jahren nur aussichtslose Situationen wandeln sich schrittweise und Nöte weichen den Hoffnungen.

Wir bereiten den Kindernachmittag vor und wählen didaktische Spiele aus. Dann kommen schon die Kinder. Vor der Kirche werden zwei Schüsseln mit warmem Wasser aufgestellt. Paula und Laura, zwei größere Mädchen, helfen den Kleinen beim Händewaschen. Neue Regeln nach unserem letzten Besuch, wir staunen nicht schlecht, für die Kinder ist es schon Gewohnheit, das ist deutlich. Der Lehrer kommt mit einer großen Torte und ein Dacia mit Pferdewagen daran, den der Mann auf dem Rücksitz festhält, fährt aus dem Dorf.

Der Nachmittag beginnt mit dem Singen der Kinder. In vier Altersgruppen eingeteilt, sitzen sie an den Tischen und aus vollem Halse singen selbst die Kleinsten so gut sie können. Es macht Spaß. Dann erzählen wir ein wenig und überbringen die Grüße aus unseren Kindergärten und Schulen, von den Kindern und allen, die uns die Fahrt hierher immer wieder ermöglichen. Die vier Jugendlichen bekommen nun die Spiele und leiten die Kinder dabei an. Und sie machen das großartig. Wir sind mittendrin und lassen uns anstecken vom Eifer der Kinder. Selbst die Kleinsten bis drei Jahre sind mit den neuen Plastikbausteinen voll bei der Sache.

Nach eineinhalb Stunden bringen wir die Bockwürste und einige Süßigkeiten. Mit Gebet und Liedern wird ein schöner Nachmittag abgeschlossen. Wir werten noch ein wenig mit den Jugendlichen aus und besprechen die Weiterführung solcher Treffen. Zahncreme, Bürsten und Anschauungsmaterial lassen wir noch hier und so werden die Kinder auch solches in Zukunft lernen und nutzen. Die vier sind begeistert bei der Sache, sie sollen es lernen, Verantwortung zu übernehmen. Es ist ein Versuch.

Wir brauchen eine kleine Pause bis schließlich noch ein Blick ins Kassenbuch davon zeugt, dass das eingesetzte Vertrauen eine gute Investition war und ist. Die Medikamente gegen Erkältung und Fieber übergeben wir Cristina und besprechen die richtige Anwendung. Die Kühe gedeihen und geben gute Milch für den Ort. Über vieles andere wird noch geredet.

Langsam geht unsere Zeit zu Ende, zu kurz ist sie immer. Wir fühlen es, wie sehr uns der Glaube verbindet und stärkt, wie wir gemeinsam erste Schritte gehen und uns dabei geführt wissen. Wir wissen uns eng verbunden im Ziel, an einem Platz dieser Welt wirklich etwas bewirken zu können, wo wir vor drei Jahren beim ersten Kurzbesuch noch das Auto von innen verriegelten.

Was bleibt nach einer solchen Fahrt? Vieles! Als erstes aber steht unsere Dankbarkeit, solches tun und erleben zu dürfen. Unsere Arbeit ist getragen von Ihnen allen, den vielen Helfern, die auf unterschiedlichste Weise diese Fahrten immer wieder und wieder neu ermöglicht haben. Den Dank unserer Freunde können wir an dieser Stelle nur bescheiden weitergeben. Wir wissen uns aber auch getragen von der Hilfe Gottes, denn vieles geschieht immer wieder, während wir nur staunend daneben stehen. Jeder der eine solche Fahrt miterlebt hat, wird es bestätigen. Unsere kleinen Schritte, die wir alle gemeinsam mit unseren Freunden gehen, können Nöte wirklich wenden, sicher nicht für alle Menschen, bestimmt aber für einige. Gern würden wir auf diesem Weg weitergehen und gern laden wir Sie dazu neu ein.

 

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