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Oktober 2011 - Trichterförmig

Deutschland hat uns wieder zurück. Die Rumänienreise in diesem Herbst liegt hinter uns. Wir waren nur in kleiner Besetzung unterwegs, also zu viert und nur mit einem Transporter. Allerdings warten noch einige Kubikmeter Ladung auf die Abfahrt mit dem LKW, Anfang Dezember ist das geplant. Nach unserer Ankunft läuft es schon fast immer wie im gleichen Film: Das Auto wird entladen - die Gruppe löst sich auf, dieses Mal nach Magdeburg, nach Brandenburg und nach Rostock – Luft holen und erzählen – nachdenken, was eigentlich alles passiert ist.

Rein äußerlich ist es jedes Mal das Gleiche. Aber schon beim Überdenken merken wir, wie alles auch immer wieder ganz neu ist.

Die Fülle der Eindrücke lässt uns in Rumänien kaum einmal Zeit, alles auszuloten. Ein Termin folgt dem anderen, sie lassen die Tage schnell vorübergehen. Ehe man sich besinnt, ist die Zeit vergangen. Doch reich gefüllt mit Eindrücken, Erlebnissen und Dankesgrüßen sind wir am Sonntagmorgen gegen 1.00 Uhr zu Hause angekommen, gesund und dankbar dafür, dass die Reise ohne Unfall oder Krankheit hinter uns liegt. Das Zurückschauen ist wichtig und weitet den Blick ins Heute und nach vorn. Viele Freunde unserer Aktionen aus Nah und Fern gaben uns Halt, Ansporn und Kraft das zu tun, was zu tun war. Gebete haben getragen und geführt, nicht nur uns, sondern auch diejenigen, mit denen wir zu tun hatten. Nicht nur wir konnten das spüren.

Start unserer Reise war am 26. Oktober. Da die ungarische Autobahn bis Mako, kurz vor dem rumänischen Grenzübergang, schon gut ausgebaut ist und wir in Temeswar sowieso erst am Abend einen Parkplatz bekommen, starteten wir erst um 5 Uhr morgens. Österreich empfängt uns mit Regen und mit einer Gewichtskontrolle. Nicht die Fahrer wurden gewogen, sondern das Fahrzeug. Das Herz rutschte vor Schreck tiefer und der Magen wird plötzlich auch mächtig schwer. Der kontrollierende Uniformierte scheint beim Blick auf die Wiegeanzeige lange zu überlegen. Dann kontrolliert er die Vignette und winkt uns freundlich durch. Geschafft!! Möbel, Nachtstuhl, Lebensmittel, Werkzeuge, Schulranzen – natürlich vollgepackt, Hygieneartikel, Kleidung, Schuhe und manches mehr rollt mit uns Richtung Osten. Der österreichische Nationalfeiertag sorgt für LKW-freie Autobahnen. In Ungarn grüßt die Puszta, nur um Budapest herum erheben sich einige Berge um dann sofort wieder ins flache Land überzugehen. Noch einige Stunden und beim Sonnenuntergang erreichen wir Rumänien, in uns beginnt die Sonne aufzugehen. Noch gut eine Stunde Fahrt und wir stehen in Temeswar vor dem Pfarrhaus.

Der Motor läuft noch, als Pfarrer Kovacs herunter kommt, um zu sehen, wo wir bleiben. Die Erfahrung lehrt, dass es gut ist das Auto gleich auszuladen. Es wird sortiert und jeder Station das entsprechende Gepäck zugeordnet. In der Wohnung angekommen, ist jeder schnell zu Hause. Wir werten die Fahrt aus und erkundigen uns, wann wohl die rumänische Autobahn fertig sein würde. Am 12. Dezember ist die Übergabe geplant, das Jahr steht aber noch nicht ganz fest, so meint der Pastor lachend. Ein kurzer Willkommenstrunk ist ein Ritual, dem sich keiner entzieht. Wir planen die nächsten Tage bevor wir nach dem Abendessen in die Kissen sinken. Noch sprudelt der große Springbrunnen und ein Rudel streunender Hunde macht sich vor unseren Fenstern lautstark zu schaffen. Man tut gut daran, ihnen allein nicht zu nahe zu kommen. Die Unfallstatistik des Landes durch Hundebisse dieser streunenden Rudel hat in diesem Jahr einen neuen Rekord erreicht. Irgendwann ist der Schlaf stärker und bringt die letzten Gedanken in uns zur Ruhe.

Der Donnerstag beginnt in der Stadt mit der Suche nach Düsen für Pfarrers Gasherd. Der will nicht mehr so wie er soll. Es ist schon der dritte Versuch, der jetzt auch am falschen Gewinde scheitert. Wir entschließen uns, nicht länger nach Düsen zu fragen und kaufen einen neuen Herd. Beim alten wurde die Scheibe des Backofens nur noch mit zwei abgeschnittenen Korken an der entsprechenden Stelle gehalten und das Problem der ausbleibenden Flammen war sicher keines der Düsen. Viele Hühnchen hat der alte Herd schon für uns gegart und noch so manches mehr, er soll nun seine Ruhe haben, finden wir, und die Hausfrau freut sich. Der autorisierte Monteur macht noch Probleme wegen seines Termindrucks, doch nur er darf den Herd in Betrieb setzen. Wir verabschieden uns und hoffen. Am nächsten Abend kommen das ganze Presbyterium und einige Freunde zum gemeinsamen Abendessen. Hoffentlich kommt der Monteur vorher, sonst wird es schwierig.

Bei Frau Alice sind wir zum Besuch angemeldet. Seit vielen Jahren gehört sie dem Gemeindevorstand an. Vor einigen Jahren besuchte sie unsere Gemeinde gemeinsam mit dem Presbyterium. Wir erfahren, dass sie kaum noch auf die Straße kommt. Vor einem großen Haus halten wir. Sie bewohnt eine kleine Wohnung im Keller. Das war eine Überraschung. Nur wenig Tageslicht bahnt sich den Weg vom Hof durch die Schächte vor den Fenstern in das Zimmer. Die tonnengewölbte Decke macht es nicht gemütlicher. Der Hauseigentümer hat nach der Revolution das Haus wieder zurückbekommen und ist in ihre Wohnung eingezogen. Sie konnte zwar bleiben, aber eben hier unten. Vor mehr als einem Jahr war sie gefallen und das hat ihrer künstlichen Hüfte gar nicht gut getan. Sie hat diese Operation vor vielen Jahren machen lassen, aus Ungern kam damals die Prothese für vierzigtausend D-Mark. Da sie als Ingenieurin gut verdient hatte, konnte sie das damals bezahlen - sie musste, trotz lebenslanger Einzahlung in die Krankenversicherung. Zu kaufen gab es im damaligen Rumänien sowieso kaum etwas. Mit wenigen Handgriffen holt sie die Quittung aus einer Tüte und zeigt sie uns. Jetzt ist in der Prothese alles locker, es drückt und reibt. Sie ist dankbar, dass sie regelmäßig Besuch aus der Kirchgemeinde bekommt. Mit viel Überredungskunst ist sie nach dem Sturz immer wieder aufgestanden und hat das Laufen neu gelernt. Selber hatte sie damals keinen Mut mehr. Sie hofft, dass der günstige Mietvertrag im nächsten Jahr nochmals verlängert wird, aber sicher ist in dieser Zeit gar nichts mehr, meint sie. Die Medikamente kosten fast die ganze Rente. Einen Kaffee und etwas Gebäck hatte sie vorbereitet. Sie erzählt und klagt nicht. Wir verabschieden uns nach fast einer Stunde. Sie braucht wieder Ruhe, wir spüren es.

Auf uns warten die Walser-Mädels, erfahren wir. An einem Block klingeln wir und schon geht die Tür auf. Wir sind noch nicht richtig im Flur, als die Resi ziemlich resolut vermeldet, dass ihr Bärte bei Männern nicht gefallen. Ihrer Schwester Rosel ist das ziemlich egal. Trotzdem dürfen auch die mit Bart hereinkommen. Beide sind um die neunzig, die Resi darüber und die Rosel kurz davor. Jeder hat die Walsers früher hier in der Fabrikstadt gekannt. Sie erzählen aus ihren Leben, als wären sie noch gestern angestellt gewesen. Einmal im Jahr kommen der Sohn und der Enkel aus Deutschland zu Besuch. Sie schwärmen von der Hilfe, die sie durch die Kirchgemeinde bekommen. Jede Woche wird sauber gemacht und auch sonst tut das Gespräch immer gut. Trotz Bärten geht es recht lustig zu, bis wir uns wieder auf den Weg machen.

Wir fahren zu Anna. Hinten im Auto unter dem Herd liegen, noch verpackt, die mitgebrachten Möbel. Anna ist körperbehindert und absolviert das letzte Jahr des Lyzeums. Ihre sprühende Lebensfreude hat sie, den Telefongesprächen und E-Mails nach zu urteilen, nicht verloren. Erst vor wenigen Wochen ist sie mit ihrem Bruder, ebenfalls noch Student, in eine andere Wohnung umgezogen. Diese ist billiger und so kommen sie besser zurecht. Die Mutter arbeitet im 500 Kilometer entfernten Brasov und kann nur gelegentlich kommen. Es ist nicht einfach alles zu schaffen und das Licht am Ende des Tunnels eines einfachen rumänischen Lebens ist nicht sonderlich hell. Eigentlich hatten die Ärzte Annas Leben vor über zehn Jahren schon aufgegeben, aber sie ist die Lebenslust in Person. Auch heute empfängt sie uns mit strahlenden Augen, nicht wegen der Mitbringsel.

Die Wohnungseinrichtung ist so, wie am Telefon beschrieben. Neben der Matratze auf der Erde stehen ein kleiner alter Schreibtisch und ein Stuhl. Sie lebt aus Kartons. Die Küche verfügt über einen dunkelgrün gestrichenen Kühlschrank aus Zeiten, in denen Energieeffizienzklassen noch lange kein Thema waren. Daneben gibt es noch eine dunkelbraun gestrichene Kommode. Wir messen kurz und während sich die eine Brigade um die Eckbank und den Tisch in der Küche kümmert, versucht sich die zweite Truppe mit dem Aufbau des Kleiderschrankes. Letzteres stellt sich schwieriger dar als gedacht. Aus den noch gut verklebten Kartons eines Erfurter Möbelhauses werden die Teile sortiert, aber irgendwie ist die dritte Tür nicht auffindbar. Dafür gibt es aber eine zusätzliche Zwischenwand, die wirklich niemand braucht. Im Land der Improvisationen aufgewachsen, wird doch mindestens so etwas Ähnliches wie ein Kleiderschrank zusammengebaut, das fünfte Seitenteil bleibt als Rest in der Ecke stehen. Das Bett bereitet weniger Probleme, mindestens aber genauso viel Freude. Anna lässt sich darauf fallen und kann es noch nicht so richtig glauben. In der Küche gibt es, auf der neuen Bank sitzend, von ihr frisch gebackenen Kuchen. Ihre Mutter meldet sich am Telefon und bedankt sich mit rührenden Worten für die Hilfe. Zwischendurch hatte sich der Gasmonteur gemeldet und Pfarrer Kovacs hat den Herd zur Inbetriebnahme gern nach Hause gebracht. Im Gehen wechseln wir noch im Bad die Lampen, die zufällig in unserem Gepäck, in Temeswarer Geschäften aber eben nicht, zu finden waren. Wir verabschieden uns, denn eine Sozialpädagogin wartet im Pfarrhaus auf uns zum Gespräch. Noch lange sehen wir Anna mit ihrer Freude vor uns. Haben wir ihr doch nur überbracht, was uns Freunde mit auf den Weg gaben und ermöglichten. Ein Termin reicht dem anderen die Hand, wir schalten schnell um.

Am nächsten Tag fahren wir nach einem weiteren Besuch bei einer älteren Dame nach Arad. Dort treffen wir eine Fachgruppe, die für Balanu eine Sozialanamnese erstellt hat. Dieses im Frühjahr gestartete Projekt war jetzt abzuschließen. Ein Teil der Unterlagen hat uns schon in Deutschland erreicht. Nach gut zwei Stunden haben wir einen guten Konsens gefunden, der reale Möglichkeiten zu nachhaltiger Hilfe aufzeigt. Gefördert durch die EKM und die Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ der Diakonie stehen im Ergebnis dieser Sozialstudie klare Aussagen. Sie veranschaulichen deutlich den sozialen Status des Bergdorfes und deren Bewohner. Eine Aussage belegt, dass man im Dorf über ein durchschnittliches monatliches Pro-Kopf-Einkommen von 28 – 45 Euro verfügt. Die Tatsache, dass doch eine gute Anzahl der Bewohner im Sommer im Ausland in der Ernte arbeiten, zeigt auf, wie viele der Menschen ohne ein Minimaleinkommen leben müssen. Die Studie präsentiert, wie am Beispiel gezeigt, meist nüchterne Zahlen. Aber sie sind schon wichtig, um die Ursachen für solche Verhältnisse zu finden. Daran anzuknüpfen und neue Wege für eine nachhaltig gute Entwicklung zu finden, wird die Aufgabe in Zukunft sein. Einiges auf dieser Strecke ist vorbereitet und wir sind ausgesprochen dankbar, mit diesem Projekt neue Perspektiven für und mit den Menschen zu sehen. Wichtig war, dass trotz dieser nüchternen Zahlen Menschen unterwegs waren, die mit Kopf und Herz arbeiteten. Erst wenn uns die Menschen wirklich am Herzen liegen, macht es Sinn, mit ihnen zusammen nach Lösungen zu suchen. Vier gefüllte Ordner sind uns übergeben worden - daraus neue Wege zu finden, ist unsere Aufgabe. Mit einem Teil der Gruppe verabreden wir einen Termin in Balanu, bevor wir auseinander gehen.

Am Abend treffen wir uns zum Essen mit den Mitgliedern des Gemeindekirchenrates und Freunden. Der Tisch ist so lang wie das Zimmer und das Zimmer ist ziemlich lang. Der neue Herd hat seine Feuerprobe wahrhaft bestanden und der Gulasch war schneller fertig als früher, dank der größeren Flammen. Es gibt viel zu erzählen. Es war eine tolle Atmosphäre, stellen wir hinterher fest. „Wer Freunde hat, hat Freude!“, so hat es Pfarrer Kovacs vor vielen Jahren kurz vor unserem Eintreffen an seine Tür geschrieben. Das hat sich bis heute nicht verändert.

Der nächste Tag führt uns nach Jimbolia in das kleine Kinderheim. Bei unserem Besuch im Frühjahr sah es für den Fortbestand des Heimes und damit für die zwanzig Kinder gar nicht gut aus. Die Kinder begrüßen uns freudig und lassen uns schon im Hof nicht mehr los. Piroska, die Leiterin, bittet uns um ein wenig Geduld. Wir spielen mit den Kindern. Einige Bäume liegen im Hof, mehr als einen halben Meter im Durchmesser. Es ist das Feuerholz für den Winter. Ein größerer Junge macht es klein. Sein kleiner Bruder ist hier und deshalb hilft er. Selber arbeitet er als Kfz-Mechaniker, der Vater ist verstorben, die Mutter…? Crista ist jetzt 12 und leidet an psychischen Störungen. Ihre Mutter hat sich, seit dem sie das Mädchen im Heim abgab, nicht wieder gemeldet. Das ist jetzt länger als vier Jahre her. Mehr Fragen als Antworten haben hier alle Kinder. Während die eine Gruppe Fußball spielt, klettern die anderen über die Bäume und erzählen. Piroska ist mit der Küche fertig und bittet uns herein. Mit den Kindern zusammen essen wir von der großen Schokoladentorte, die wir mitgebracht hatten. Piroska hatte die Teller abgezählt und wir konnten uns nicht drücken. Einiges hat sich verändert und sehr erleichtert erzählt sie uns, dass nur noch ein Ofen und eine Eingangstür zu erneuern sind, bis die endgültige Betriebserlaubnis erteilt wird. Deutlich steht ihr die Freude ins Gesicht geschrieben. Im Frühjahr war alle Hoffnung diesbezüglich verflogen. Sie weiß, dass menschlich Unmögliches möglich wurde, für das Heim mit den Kindern und für sie persönlich. Sie hatte den Tiefpunkt ihres Lebens erreicht und berichtet jetzt, wie Gott geholfen hat. Die vorbereitete Summe wird die ausstehenden Umbauten ermöglichen, sie findet kaum Worte zum Dank. Die Kinder helfen beim Ausladen der Kartons und Säcke mit Schuhen, Winterjacken, Bettwäsche, Spielzeugen und Süßigkeiten. Der absolute Knaller ist ein Keyboard einer unserer Mitreisenden. Mindestens zehn Hände bearbeiten es gleichzeitig. Beim Abschied ringt Piroska immer noch nach Worten um auszudrücken, wie froh sie ist, uns zu kennen. Es geht zurück nach Temeswar. Nicht ausgesprochene Worte erzählen Geschichten, die uns bewegen.

Der Sonntagsgottesdienst in und mit der Gemeinde rundet die Tage in Temeswar auch dieses Mal ab. Vieles haben wir wieder erlebt und gehört. Ein gutes und gemeinsames Fundament zu haben und das auch dieses Mal in vielen Gesprächen zu erfahren, stärkt jeden von uns neu. Es ist nicht immer leicht froh zu sein inmitten von Schwierigkeiten, die uns alle umgeben. Doch die Hoffnung auf den der trägt, macht uns Mut, immer neu aufzusehen. Darum wissend verabschieden wir uns und fahren Richtung Hunedoara.

Das schöne Wetter der letzten Tage lässt uns auch auf der Fahrt nicht im Stich. Der feuchte Niederschlag aus einem Fabrikschornstein neben Frau Alices Haus in Temeswar klebt immer noch auf der Scheibe. In den Dörfern herrscht Sonntagsruhe, dafür leisten sich die Autofahrer eine Kapriole nach der anderen, insbesondere beim Überholen.

Nach etwas mehr als drei Stunden stehen wir bei Familie Varga auf dem ehemaligen Schießplatz. Wir hatten telefoniert. Ein Nachbar hat ihnen erlaubt, seinen Strom anzuzapfen, deshalb ist es in einem der drei kleinen Räume noch hell. Die Kinder werden größer, vielleicht scheint es deshalb etwas enger. Lebensmittel, Schuhe und Winterkleidung machen glücklich. Aber nicht nur deshalb sind sie freundlich. Sie strahlen etwas aus, was in so einer Umgebung ungewöhnlich ist. Aufgeschlossen erzählen sie vom Sommer. Maria, die Mutter, freut sich über die Küchengeräte in einer der Bananenkisten. Das erste Mal wird sie jetzt bügeln können oder einen Mixer in der Hand halten. Ein Kostenzuschuss für das Notwendigste, Schulmaterial und ein Federbett bleiben noch da. Sie winken uns nach, bis unser Auto für sie im Dunkeln verschwindet. Hell bleibt es in ihnen weiter, nicht nur wegen der Glühbirne an der Decke und den Kartons in der Küche. Ihr Glaube trägt sie, vielleicht haben wir sie deshalb dort oben gefunden.

Bei Familie Filip und bei Adriana bleiben wir über Nacht. Lange war das nicht mehr möglich gewesen, sie freuen sich darüber. „Immer habt ihr hier ein Bett.“ Wir hören es bei Adriana am gedeckten Tisch, uns entschuldigend, dass wir uns ein halbes Jahr nicht gemeldet hatten. „Macht nichts, immer seid ihr willkommen.“ Wir genießen ihre schon berühmten gefüllten Eier und so manche andere Köstlichkeit. Ihr Sohn ist jetzt mit seinem Ford KA nationaler Juniormeister in der Auto-Rallyklasse. Nach dem Film vom Wettbewerb und seinem Sieg steigen wir alle kurz in das Gefährt. Wie der Junge mit seinen fast zwei Metern reinpasst, um diese Piste mit 120 km/h zu passieren ist nicht klar. Ihn freut es mächtig wie wir uns rein und raus quälen.

Bei Familie Filip dauern die Gespräche noch einige Stunden. Das letzte Jahr war schwieriger als die letzten zwölf. Die Preissteigerungen sind kaum abzufedern, da Alexandru wieder seit langer Zeit keine Arbeit mehr hat. Eine Schnittwunde an drei Fingern bei der Frau hat mächtige Löcher gerissen. Nur weil die Kinder, die in England Arbeit gefunden haben, Geld geschickt hatten, konnte die Wunde behandelt werden. Wir konnten es überall beobachten, wie die Preise gestiegen sind. Die Söhne, im Ausland unterwegs auf Arbeitssuche, haben an Marmorpalästen in Italien mitgearbeitet und nach einem halben Jahr kein Geld bekommen. Der Kreis Hunedoara nimmt einen traurigen Rekordplatz bezüglich der Arbeitslosigkeit des Landes mit ein. Monica hat das Lyzeum absolviert und sucht einen Ausbildungsplatz, Lavinia und Julian, der Sprössling, gehören zu den Besten ihrer Klasse. Es tut ihnen gut, alles mal wieder los zu werden und sich unterhalten zu können. Es sprudelt nur so aus ihnen heraus. Wir spüren wie wichtig ihnen das Gespräch ist. Wir versuchen ihnen Mut zu machen, nicht mit billigen Floskeln. Den Schulbesuch im Dorf müssen wir aus Zeitgründen ausfallen lassen. Familie Filip wird die Schulmaterialien, Spielzeuge für den Kindergarten und die Tüten für die Kinder dort abgeben.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen bei Filips geht die Reise weiter ins Retezatgebirge. Das Wetter verwöhnt uns und schon bald sehen wir den Neuschnee oben auf den Gipfeln der Zweitausender. Ohne viel Gepäck anzukommen ist für uns ungewöhnlich, doch der LKW mit der Ladung für das Dorf wird erst im Dezember fahren. Cristina und ihre Familie erwarten uns. Wir sind zu Hause in Balanu. Jeder findet fast automatisch seinen Platz für das Gepäck. Die Kinder sind noch in der Schule, es ist ungewöhnlich ruhig auf der Straße. Wir gehen eine Runde. Merklich hat sich das Dorf verändert.

Einige der Hütten stehen nicht mehr, dafür wachsen die Häuser aus Gasbetonsteinen. Adi grüßt uns von der Baustelle. Er ist einer derjenigen, die im Sommer in unserer Nähe zur Kirschernte angereist waren. Er hat es verstanden, dass es gut ist, sein Geld so zu investieren und er ist nicht der Einzige. Es hat einige Jahre gedauert, aber jetzt scheint es klar zu sein. Sie lernen Verantwortung zu übernehmen und beginnen Neues. Während ihrer Zeit in Deutschland haben wir immer wieder versucht, ihnen dazu Mut zu machen. Das Dorf verändert sich zusehends. Der Tag verläuft ruhig. Wir besprechen einige Arbeiten für die nächsten Tage, es ist überschaubar und beginnen mit Kleinigkeiten. Die Kinder kommen aus der Schule und begrüßen uns lautstark. Die Kleinen hinterher, versuchen bei der Lautstärke mitzuhalten. Die für sie „Zuständigen“ kennen ihren Job und tun ihn gern. Es gibt Regeln und das lernen die Kinder jetzt. Nicht allen fällt es gleich leicht, aber das ist wie im Leben.

Aufgrund der schon seit Monaten anhaltenden Trockenheit ist die Wasserleitung so gut wie leer. Wir wollen sehen, ob es wirklich nur an der Trockenheit legt und ziehen in die Berge. Zwei Kilometer weiter wird das Wasser einer Quelle aufgefangen und sammelt sich in einem Rohr. Es sollte jedenfalls so sein. Das Desaster dieses Systems zeigt sich in der Tatsache, dass das Wasser, sollte es den Weg ins Rohr gefunden haben, unten im Sammelbehälter, der den Druck für das Dorf produziert, kaum noch ankommt. Unterwegs sehen wir einige Male die oberirdisch verlaufende Rohrleitung. Es gräbt sich eben schlecht im Fels. Physikalische Gesetze funktionieren in Rumänien genauso wie anderenorts – irgendwo läuft das Wasser weg. Auch deshalb gibt es eben seit Monaten kaum noch Wasser. Bleibt zu hoffen, dass sich Verantwortliche finden, die solche Installationen überarbeiten.

Schon vor unserer Reise war klar, dass neben einigen praktischen Arbeiten am Strom und an Möbeln Inhalte zu diskutieren und zu besprechen sind. Die Vereinsarbeit, das Sozialprojekt, die Arbeit mit den Kindern und vieles mehr warten auf Auswertung. Damit sind für einige von uns die nächsten Tage gefüllt. Da die Tage nicht reichen, geht es in den Nächten weiter und nicht nur einmal stand der kleine Zeiger hinter der Zwölf. Alles, was sich ein halbes Jahr lang angesammelt hat, nicht nur an materiellen Dingen in Form von Spenden, sondern vor allem an Gedanken und Ideen, wird jetzt gebündelt. Dazu kommen die Ausarbeitung der Sozialanamnese mit ihren Hilfeplänen für die Familien, die Ergebnisse mehrere Arbeitsbesprechungen in Arad und in Temeswar und natürlich die Notwendigkeit der praktischen Umsetzung, vor Ort und mit den Menschen. Alles so komplex gesammelt, ergießt sich gleich einer Masse in einen weiten Trichter, um in den wenigen Tagen kanalisiert abgefüllt oder platziert zu werden. Manchmal scheint es das Fassungsvermögen zu sprengen. Vorgeschlagenen Maßnahmen und Ideen ein Gesicht zu geben ist nicht immer leicht und wir müssen darauf achten, dass nur so viel in den Trichter gefüllt wird, wie er auch an entsprechender Stelle ablaufen lassen kann. Wir merken, wie sich da ein Druck aufbaut. Doch es ist besser zu kanalisieren als alles weit zu zerstreuen. Was heißt das?

In dem letzten halben Jahr haben viele Mithelfer versucht, die begonnen Projekte in Nachhaltigkeiten zu überführen. Jetzt muss verstanden, konkretisiert, formuliert und beschlossen werden. Wir haben nur wenige Tage Zeit und das erhöht den Druck. Manches scheint über den Köpfen zusammen zu brechen. Während wir uns noch vor wenigen Jahren über den Platz von Schaltern und Steckdosen, um Raumverteilung und Einrichtung beraten haben, sind es heute Inhalte, die den Dorfbewohnern verständlich gemacht und nahe gebracht werden sollen. Wie kann außerschulische Nachhilfe regelmäßig organisiert werden, wenn niemand da ist? Wer irgendeine Arbeit findet, ist manchmal tagelang unterwegs. Dazu sitzen Cristina, ihr Mann und weitere vier Erwachsene nachmittags meist in Hunedoara in einer Schule, um ihren Abschluss zu erwerben. Jede Aktivität im Haus erfordert hinterher eine gründliche Reinigung der Räume. Wir geben nicht auf und gehen einen Punkt nach dem anderen durch. Es dauert Tage und Nächte. Wir rechnen, überlegen, verwerfen und finden neue Ideen. Immer rein in den Trichter und aufpassen, dass nichts verstopft. Wir legen Ordner und Hefte an, verteilen einzelne Aufgaben, binden Jugendliche mit ein. Donnerstagabend steht der Plan und alle sind einverstanden und zufrieden.

Am Morgen hatten wir uns einen Ausflug in ein ausgewiesenes Urlaubergebiet genehmigt. Das Wetter ist einfach umwerfend. Die Sonne lässt das bunte Laub der riesigen Mischwälder in den schönsten Farben erstrahlen. Es scheint ihr Freude zu bereiten mit Licht und Schatten zu spielen. Wir genießen es - während der Fahrt und an einem neu entdeckten Staudamm. Vier Kilometer ist der See lang und bis zu 400 Meter tief, erfahren wir vom Wachmann. Während eines kurzen Rundganges durch das Dorf lädt ein kleines Kloster zum Besuch ein. Es scheint neu gebaut zu sein. Auf dem weiträumigen Gelände schwirren im Hintergrund einige Schwestern herum. Das Auto wartet und um 12 Uhr auch der Lehrer in Balanu. Wir sind pünktlich zurück und unterhalten uns mit ihm über Nachhilfe für die Kinder. Er macht keinen traurigen Eindruck, dass er es nicht übernehmen soll, will aber gerne zuarbeiten.

Ein Teil der Gruppe probiert in der Küche mit den Kindern den neuen Fleischwolf aus, der dank Zusatzgerät, Plätzchen heraus befördert. Gas haben wir gekauft und so gelingt es sogar, dass einige der Plätzchen selbst ohne Kakaozusatz schön braun werden. Aber der Zuckerguss macht alles wieder gut. Den Kindern hat das gefallen und so bringen sie einige gefüllte Dosen zu alten Leuten nach Hause. Am Nachmittag feiern wir mit den Kindern Gottesdienst. Sie singen, was die Kehlen an Lautstärke hergeben, Liedhefte gibt es keine, die Texte sitzen. Im Anschluss gibt es für alle Plätzchen.

Noch eine kleine Runde führt uns durch das Dorf. Immer wieder findet sich Gesprächsstoff. Was wir nicht mehr finden, sind die Gruppen von Leuten, die auf der Straße stehen. Jeder werkelt an seinem Haus. Es hat sich verändert, das Dorf und deshalb auch die Menschen. Ein Junge zieht mit zwei Eimern los um unten am Fluss Wasser zu holen. Wir gehen hinterher. Unterhalb des Müllplatzes zeigt uns Angelut eine kleine Quelle, welche jetzt als Trinkwasserstelle dient. Ganz in der Nähe lebt eine armdicke Schlange, erzählt er, die schon oft gesehen wurde. Trotzdem gehen wir hin, denn es ist kühl, zumindest jetzt gegen Abend. Im Sommer wühlen aber auch Kinder im Müll, leider immer noch und immer wieder. Der Anblick des Müllplatzes und die Geschichten lassen uns erschauern. Eine Familie lebt 30 Meter weiter mit zwei kleinen Kindern. Der Vater war mit in der Kirschernte und hat jetzt Strom im Haus und neue Platten mit etwas Isolierung rund herum. Mit ihnen freuen wir uns darüber.

Die neue Stromverteilung bei Cristinas Eltern wird fertig geklemmt und in ihrer neuen Küche gibt es bald Licht. Die neuen Küchenmöbel erhalten Griffe und werden so lange ausgerichtet, bis alles passt. Wir schreiben Arbeitsanweisungen und Pläne, nur der Drucker streikt. Eigentlich war für Freitag 10 Uhr die Abreise aus Balanu geplant, doch erst um diese Uhrzeit hat der Bürgermeister einen Termin frei. Pfarrer Kovacs und zwei Mitstreiterinnen stehen eine Minute vorher vor seinem Büro, wir treffen uns dort.

Gut, dass der Bürgermeister noch nicht da ist. Uns bleibt Zeit, Dinge und Anliegen nochmals zu aktualisieren. Nach dem Gespräch steht der Plan. Unser Verein „PRO-Balanu“ stellt Cristinas Mann Angelut als Administrator ein. Der bekommt einen Mindestlohn über die Kommune ausgezahlt. Das ist erforderlich um die Frage der Lohnbuchhaltung sauber zu lösen, auch wenn wir ihn vorerst aus Spenden bezahlen. Doch damit ist er krankenversichert und erhält Rentenansprüche, wenigstens sagt es so das Gesetz. Damit das möglich ist, wird der Gemeinderat ordentliches Vereinsmitglied. Die Sache wird rund.

Wir fahren nach Balanu zurück und berufen kurzfristig eine Versammlung des Vereins ein. Der Drucker ist inzwischen in der Stadt repariert worden und hat jetzt richtig zu tun. Arbeitsanweisungen, Änderungen am Vereinsstatut, Beschlüsse und einiges mehr muss er schwarz auf weiß befördern. Alle Computer laufen und es wird hin und her geschickt, bis die Akte voll ist. Unser Kopf droht auch bald zu platzen, doch es geht vorwärts. Alles ist notiert und unterschrieben, unsere Zeit in Balanu ist um. Eine kurze Essenspause lässt uns gemeinsam Luft holen. Die Abfahrt hat sich um sechs Stunden verzögert, aber mit guten Ergebnissen. Cristina wird einige Wege zu erledigen haben, aber ein neuer Weg ist gebahnt. Mit Hilfe des Vereins wird Angelut eine Anstellung haben, den Kindern Nachhilfe geben, ein Waschprogramm für einige Familien organisieren und manches mehr. Wir verabschieden uns, noch aufgewühlt, aber doch beruhigt.

Im Spiegel sehen wir, wie Cristinas Familie und viele Kinder winken. Das Trichterprinzip hat funktioniert und jeder hat seinen Teil abbekommen. Wir wollten helfen, dass die Menschen in Balanu eine Chance für ein besseres Leben erhalten, das hatten wir uns vor 10 Jahren, als wir das Dorf zum ersten Mal entdeckt hatten, vorgenommen. Vieles ist bis heute gewachsen, was damals nur ein Traum war.

Ein letztes Abendessen in Temeswar lässt uns dankbar auf die vergangenen Tage zurück blicken. Wir waren weg von uns selbst und das hat uns gut getan. Die Rückreise verläuft zügig und wir finden uns wieder. Wir sind dankbar für alles Erlebte und für das, was uns viele Mitstreiter aus der Heimat zu tun ermöglichten.

Zu Hause angekommen, wohl bewahrt und gut geführt, erzählen wir langsam. Es fällt schwer, alle Eindrücke wiederzugeben. Wir fühlen uns leer und entdecken von neuem den Trichterrand, der ebenfalls leer ist. Es gibt gute Gründe, ihn wieder zu füllen, mit Ideen, Kraft, Spenden und Gebeten. Nicht allen können wir helfen - aber ihnen - die noch so nah in unserer Erinnerung sind. Alle, von denen wir erzählt haben und viele mehr, lassen Sie herzlich grüßen und sie danken Ihnen von Herzen.

 

 

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