Reisebericht Oktober 2018
Mauerdurchbrüche
Bereits mit dem November des vorigen Jahres begannen die Vorbereitungen für die nun hinter uns liegende Fahrt. Die Sanierung des alten Pfarrhauses in Bodo, einem Dorf kurz vor Lugoj, steht seit gut einem Jahr auf dem Plan. Der Pastor dieser Gemeinde bemühte sich seit Jahren fast vergeblich um bessere Konditionen. Die größte Herausforderung stellte die Beschaffung einer entsprechenden Kücheneinrichtung dar. Dank einer unkomplizierten und kostenfreien Bereitstellung der Möbel für diesen Zweck erledigte sich dieser Punkt sehr schnell.
Im August war das Lager prall gefüllt mit Möbeln aller Art. Anfang Oktober rollte der Lkw rückwärts an das Lager heran. Die Ladung beanspruchte die gesamte Fläche des 40-Tonnen-Lasters. In Bodo angekommen, halfen Freunde aus Balanu bei der Entladung. Kinderkleidung und Schuhe nahmen sie mit. Dank vieler Spenden erreichte nach dem Lkw ebenso der Transporter seine Kapazitätsgrenze. Am 17. Oktober starteten wir zu fünft.
Die Anspannungen der Vorbereitungen eines Jahres fallen mit jedem gefahrenen Kilometer ab. Gleichzeitig wächst im Kopf schon die Realisierung des Geplanten. Das ist seit vielen Jahren der gleiche Vorgang auf der gleichen Strecke. Passau, Wien, Budapest, Temeswar – gegen 20 Uhr Ortszeit stellen wir den Motor nach 14 Stunden ab. In der Evangelischen Kirche beginnt das Barockkonzert, doch ohne den Pfarrer. Er begrüßt uns - herzlich und mit den gewohnten Ritualen. Wir überbringen gern die Grüße aus unseren Kreisen, viele lernten sich in den vergangenen Jahren kennen und haben schöne Erinnerungen an gemeinsame Begegnungen.
Wir genießen das Essen und die nicht mehr vorhandenen Motorgeräusche. Erst nach dem Konzert laden wir aus dem Auto, was für Temeswar und für das Kinderheim in Jimbolia bestimmt ist. Nur eine Nacht schlafen wir dieses Mal in Temeswar. Das Programm ist eng gestrickt und lässt wenig Spielraum.
Am Donnerstagmorgen fahren wir bereits nach dem Frühstück ab. Dank einem Stück der neuen Autobahn erreichen wir Bodo relativ zügig. Das neu gedeckte Dach des Pfarrhauses erkennen wir aus einiger Entfernung. Der Pastor erwartet uns. Die Ladung des Lkw finden wir im Haus verteilt und ordentlich sortiert. Vieles ist für die kommenden zehn Tage geplant. Die Küche soll eingerichtet und ein Bad installiert werden. Ein weiteres Zimmer wartet, ebenso wie die Nebenräume, auf neue Elektroleitungen. Neugierig nehmen wir die renovierte Küche in Augenschein. Der Fußboden und die Wände erhielten neue Fliesen und die Wände nach dem Putz den Anstrich. Abgehängte Decken sorgen hier, wie auch schon im nächsten Zimmer, für eine anhaltende Wärme. Die Räume waren über vier Meter hoch. Im Bad ist für die Neugestaltung alles vorbereitet. Lediglich der Boiler hängt, das WC und die Wanne stehen noch. Wir schlüpfen in die Arbeitskleidung und los geht’s.
In dieser Region sind es eben nicht mehr die Kleidung und Schuhe, wie in den vergangenen Jahren. Und das ist doch gut so. Selbst in Gesprächen mit den Freunden aus Balanu kristallisierte sich das genau so heraus. Kinderbekleidung und Kinderschuhe sind dort immer noch willkommen. Doch im Raum Lugoj ist selbst das auch nur noch sehr begrenzt nötig. Die Menschen suchen die alte Zeit, in der das Leben noch fröhlich und der Alltag lebendig war. Wo sollen sie sich treffen? Das Pfarrhaus in Bodo stand nach den Tod des letzten Pfarrers leer und die Reparaturen stauten sich auf. Neue Fenster baute die Gemeinde noch ein. Vorhandene oder gespendete Möbel versagen langsam ihre Dienste und die Holzstühle im Gemeinderaum entstammen den unterschiedlichsten Produktionslinien längst vergangener Zeiten.
Die beiden kleinen Dorfläden, 250 Meter voneinander entfernt, sind die Zentren der Gespräche. Große Neuigkeiten gibt es selten, jeder sorgst für sich selber. Dennoch wünschen sie sich Gemeinschaft. Viele horchen auf, sobald sich etwas Ungewöhnliches ereignet. Doch viele horchen auf, sobald sich etwas Ungewöhnliches ereignet. Wir gehören dazu, zu diesen „Ereignissen“. In Bodo zurück, gehen wir wieder vereint ans Werk. Das vormals einbetonierte Toilettenbecken und die Wanne stehen auf dem Hof, im Bad gibt es Platz für Kommendes. Gemeinsam räumen und rücken wir. Die Küsterin der Gemeinde sorgt sich um unser Wohlergehen und bereitet unentwegt Essen vor. Nach und nach spüren wir auch ein Verlangen danach.
Fünfzig Meter vom Pfarrhaus entfernt, ragt vor dem Kulturhaus ein Rohr aus der Erde, aus dem ständig Wasser fließt. Gut so, denn von dort versorgen wir uns mittels leerer 5-Liter Kanister. Das relativ neu erbaute Haus hinter dem Wasserrohr beherbergt neben dem Kindergarten im Hof noch einen großen Saal, eben den Kultursaal. Wir finden in diesem Haus wenigstens eine Dusche und Toilette. Also, doch ein wenig Kultur! Zum Abendessen sitzen wir später an den neuen Tischen und auf den mitgeschickten Stühlen. Und es schmeckt. Das Essen ist „ alles nur Bio“, wie uns versichert wird. Es stammt aus dem eigenen Garten und das Fleisch vom selbst gehaltenen Schwein.
Wir sinken in die neuen alten, ausgemusterten Hotelbetten vom Lkw, während wir im letzten Jahr nur mit Schaumstoffmatratzen auf dem Boden schliefen. Der Komfort ist nicht zu übertreffen.
Nach und nach reihen am nächsten Tag die Edelstahlelemente und Platten aneinander zu den geplanten Möblierungen. Alles passt und die Küche bekommt Format. Das Badezimmer und die Speisekammer erhalten neue Türen. Neue Lampen an der Decke lassen alles im rechten Licht erscheinen. Spülbecken und Geschirrspüler passen an den geplanten Platz, auch wenn es noch an Wasser fehlt. Es ist Freitag 15 Uhr, Zeit für die Rückfahrt nach Temeswar.
Das schöne Herbstwetter hält an und der Stadtbummel bringt etwas Entspannung. Für Samstagnachmittag steht der Besuch in Jimbolia an. Doch jetzt ist erst einmal für einige Stunden Pause im Programm. Wir schlendern durchs Temeswarer Zentrum und genießen die Ruhe des Freitagabends. Es gibt mal nichts zu planen und zu bedenken, schließlich befinden wir uns ja alle im Urlaub. Das Zentrum ist, wie immer, belebt. Hier und da treffen wir auf Straßenmusiker. Kinder füttern, wie immer, die Tauben vor der Oper, während ihre Mütter versuchen, sie dabei zu fotografieren. Die Menschen kommen von den Einkäufen mit leichtem Gepäck. Die Preise sind auch im vergangenen Jahr gestiegen und liegen bei den Lebensmitteln teilweise über den unsrigen. Es hat sich kaum etwas geändert, wenn man von den veränderten Standorten der Baugerüste an einzelnen Fassaden absieht. Wir treffen uns im Pfarrhaus zum Abendessen und sprechen über die Situation im Land, die den Menschen immer mehr Mut macht, es auf der Suche nach Lebensqualität zu verlassen. Ausgebildete Mediziner, Informatiker und Handwerker verlassen Rumänien in Scharen. Auch Deutschland wirbt um sie. Pflegeeinrichtungen, das Gastgewerbe, Transportunternehmen und Baubetriebe stellen ein und schulen um. Gut für den Einzelnen und schlecht für das Land sind diese Verhältnisse, letztlich auch bedingt durch unsere Ansprüche.
Der Samstagvormittag dient dem Besuch des Marktes. Eine junge Verkäuferin erkennt uns und entschuldigt die Gemüsefrau, die wir jedes Jahr aufsuchen. Sie sei heute auf einer Hochzeit und deshalb nicht am Stand. Aber gern bedient sie uns. Die Käsefrau ist aber wieder auf ihrem Platz. Es gefällt uns, irgendwie auch auf dem Markt erwartet zu werden. Das Auto ist gegen Mittag schnell geladen und die Torte für Jimbolia gut verstaut. Die bisher gefrorenen Bratwürste tauen bis dorthin sicherlich fertig auf. Brot, Getränke und die restlichen Requisiten zum Bratwurstessen gibt’s im Kaufland. Unser Korb ist, gut gefüllt, nicht zu übersehen. Auch der Preis macht betroffen, wenn man näher darüber nachdenkt. Doch für die Kinder bezahlen wir gerne und klopfen eine Stunde später bei ihnen ans Tor.
Klar, wir werden erwartet und sie kommen alle, um beim Ausladen zu helfen. Winterkleidung, Schuhe, Lebensmittel, Süßigkeiten und die immer geliebten und nötigen Bälle finden dankbare Abnehmer. Zwei Fahrräder wünschten sie sich, denn die Kinder wachsen. Die großen Jungs freuen sich darüber. Der schwierigere Teil des Besuches beginnt jetzt.
Während sich die meisten von uns von den Kindern zum Ballspiel einladen lassen, versucht der Rest unserer Gruppe mit der Leiterin und ihrer Tochter ins Gespräch zu kommen. Es ist schwer, denn mit uns steigen alle Erinnerungen an Piroschka auf. Sie war die Leiterin und verstarb vor knapp einem Jahr. Kurz vor Weihnachten feierten sie nicht Advent, sondern mussten Piroschka nach dreiwöchiger Krankenzeit beerdigen. Heute fließen schweigend Tränen. Erst nach und nach ringen wir mühsam nach Worten. Die Zeit schien damals stillzustehen, auch wenn die Tage vergingen. Sie hatte sich um alles gekümmert. Der Alltag, das Haus, der Garten die Akten und Behördengänge, alles lag in ihren Händen. Doch besonders wichtig waren ihr die Kinder und das alles tat Piroschka für sie. Dann war sie gegangen und es blieb ein großes Loch. Was sie jedoch auch zurückließ, war die Liebe, mit der sie alle angesteckt hatte. Und diese schien auf jeden übergesprungen zu sein. Immer wieder kommt eines der Kinder herein um zu trösten, selbst die großen Jungs.
Wir finden zurück ins Hier und Heute. Solange die Schule der Größeren in Temeswar noch nicht beendet ist, besteht die Einrichtung weiter. Cili organisierte seit einigen Jahren Volkstanzkurse für die Kinder. Piroschka berichtete oft darüber. Heute tanzen sie weiter. Draußen erzählen sie stolz von dem Besuch der Gruppe in Budapest und der Aufführung des Gelernten, von der Fahrt mit dem Schiff auf der Donau und vom Besuch in der ungarischen Hauptstadt. Aus vernachlässigten, misshandelten, verängstigten Kindern sind selbstbewusste Jugendliche geworden. Sie haben Spaß aneinander und miteinander. Einer sorgt sich um den anderen und gemeinsam tragen sie ihre Lasten, fest im Glauben an unseren Herrn stehend. Nur so funktioniert ihr Leben. Piroschkas Hingabe hat Mauern eingerissen, die die Kinder früher umgaben und hinter denen sie sich zurückzogen. Selbst Verschlossene unter ihnen tauen langsam auf, jetzt wo Piroschka nicht mehr unter ihnen ist. Die Bratwürste schmecken allen, zum Abschluss kommen aus der Küche Palatschinken mit Eis. Der Abschied ist, wie in der Vergangenheit, kein lustiger Moment. Doch wir wissen voneinander und bleiben verbunden. Das stärkt und gibt Mut. Sie winken bis das Auto um die Ecke biegt. Noch oft bedanken sie sich für die vielen Dinge, auch als wir schon längst in Deutschland zurück sind.
In Temeswar angekommen, grüßt uns im Dunkeln die beleuchtete Kirche am großen Springbrunnen. Vor dem Essen kommen noch Freunde der Familie zu Besuch. Alle finden Platz am Tisch und wie ganz selbstverständlich gehören wir dazu. Zum Sonntag gehört der Gottesdienst und der beginnt um 10 Uhr. Fast alle Besucher kennen wir, doch es gibt auch neue Gesichter. Sich in seine Umgebung einbringen, statt Vergangenem nachzutrauern, Neues wagen, sich um das Gemeinwohl sorgen ohne den Nachbarn zu vergessen – es sind brandaktuelle Themen, auf die uns die alten Texte der Bibel hinweisen. Bei Kaffee und Kuchen treffen wir sie, die guten Bekannten und die neuen Gesichter. Einige sprechen deutsch und freuen sich, es wieder anwenden zu können. Momentan drückt die Gemeinde ein ausstehendes Brandschutzkonzept. Dafür übergeben wir heute gerne eine Summe als Anschubfinanzierung. Nach dem Mittagessen müssen wir uns leider für dieses Jahr verabschieden. Wir werden nicht, wie gewohnt, noch einmal zurückkehren, denn in Bodo wartet eine prall gefüllte Woche auf uns. Wir fahren ab und lassen Temeswar hinter uns.
Um 15 Uhr läuten in Bodo die Glocken zum Gottesdienst und wir sind pünktlich. Im Anschluss bietet sich Gelegenheit für ein kurzes Wort zur Gemeinde. Es fremdelt noch ein wenig, doch einige bekannte Gesichter gibt es bereits. Wir erfahren, dass der Gemeindevorstand neu gewählt und deutlich jünger geworden ist.
Der weitere Sonntag verläuft ruhig. Wir spazieren zum nächsten Dorf, wo man uns auf eine ehemalige Wassermühle hingewiesen hatte. Einst trieb sie das Wasser des Nebenarmes der Bega an. Neben der Mühle, die immer noch Mais und Korn mahlt, befindet sich ein neu gebautes Objekt, welches für Feierlichkeiten zur Verfügung steht. Die „Mühle des Glücks“ ist der Name, wie uns ein großes Schild verrät. Zurück im Dorf, grüßen uns einige Bewohner, vor ihrem Haus sitzend. Wir lassen uns auf ein kurzes Gespräch ein. Ob wir ein Haus kaufen wollen im Dorf, fragen sie uns. Das wird wahrscheinlich immer wieder von Fremden erwartet. Warum sollte man sonst nach Bodo kommen?! Ein wenig später zeigt uns der Hausbesitzer hinter dem Hof stolz seine Gewächshäuser, in denen noch die restlichen Paprika und Tomaten hängen. Mit Mais und Getreide füttern sie ihr Vieh. Die meisten Einwohner sind Selbstversorger, denn Flächen gibt es genug. Uns geht es weniger um das Gemüse, als um den Kontakt zu den Dorfbewohnern. So kommen wir selbst mit ihnen ins Gespräch und erklären, was wir wirklich wollen und machen. Der Sonntag klingt ruhig aus.
Am Montagmorgen beginnen die Vorbereitungen für die Wasserversorgung. Wo Wasser fließen soll, muss es auch abfließen können. Eigentlich sollte das vorbereitet sein, doch das Kanalnetz ist noch nicht ganz vollständig. Am Haus entlang bis zur Grundstücksgrenze wurde der Graben vor unserer Ankunft ausgehoben. Stück um Stück werden in der Küche die Edelstahlmöbel fest montiert und die Elektrik in Bad und Speisekammer erledigt.
Wir fahren in die Stadt, um Abflussrohre zu besorgen. Irgendwann finden wir alles. Lugoj ist nicht Temeswar. Die Läden sind unscheinbarer und die Häuser ohne Prunk der ehemaligen Monarchie. Doch die Zeit seit der Erbauung oder den letzten Renovierungen liegt lange zurück. Unsere Einkaufsliste ist abgearbeitet, wir fahren nach Bodo, um Gekauftes zu verbauen. Am Donnerstag wollen die beiden Installateure anreisen, bis dahin sollten alle Vorbereitungen abgeschlossen sein. Uns drückt der fehlende Graben für die Rohre vor dem Haus. An einem der späten Nachmittage rollt der Bagger heran. Keiner von uns hätte das Stück mit Hacke und Spaten ausheben wollen. Es ist ganz schwere Tonerde, die da in großen Brocken auf der Grabenseite liegt. Wir sind für den nächsten Tag vorbereitet. Fast die ganze Nacht hindurch regnet es und das hört auch am Morgen nicht auf. Am Haus steht in dem tiefen Graben nicht nur das Grundwasser, sondern nun auch noch das vom Regen und aus der Dachrinne.
Das Fundament der Mauer, das den Graben vom Hof und den vor dem Haus trennt, ist blau - also richtig guter Beton aus alter Zeit. Das wird mühsam. Jemand muss mit dem Durchbruch beginnen, sonst kommen wir nicht weiter. Viel guter Wille ist nötig, Geduld und Ausdauer, das Werkzeug und die dazugehörige Energie aus der Steckdose. Es ist wie im Leben. Oft versperren Mauern aus alter Zeit den Zugang zum Nächstliegenden. Keine Aussicht auf Erfolg oder auf ein Vorankommen entmutigen. Das gilt für die Abflussleitung, aber es trifft auch manche Lebenssituation. Dieses Mal sind wir es, die sagen: „Geht schon.“ Der lange Bohrer frisst sich nach und nach durch den blauen Widerstand, nicht nur einmal. Wieder und wieder wird er neu angesetzt, bis die Größe des Loches dem Zweck entspricht. Gut, dass jemand damit begonnen hat, den Widerstand der Mauer zu durchbrechen. Noch einmal muss das Gleiche passieren, hinein ins Haus. Der erste Plan geht schief, doch dafür gibt es einen zweiten. Es ist wie im Leben - aufgeben bringt nicht voran. Lange schon versuchte der Pastor im Dorf etwas aufzubauen. Fast hätte auch er aufgegeben. Die Herausforderung, im Regen und im wassergefüllten Graben die Abflussleitung zu verlegen, nehmen wir mit ausgeliehenen Gummistiefeln ebenfalls an. Spaß macht das nicht.
Aus Hunedoara kommt ein Freund, um uns zu treffen und um einige Tage zu helfen. Seit zwanzig Jahren können wir die Familie zum ersten Mal aus Zeitgründen nicht besuchen. Deshalb kommt er zu uns, und das an seinem Geburtstag. Er ist an vielen Stellen in der Vergangenheit jemand gewesen, der uns immer neu in Verbindung mit anderen Hilfsbedürftigen gebracht hat. Das Leben einiger Familien hat sich durch seine Aufmerksamkeit verändert und verbessert. Heute verbindet er mit uns die Abwasserrohre. Die Durchbrüche sind groß genug, die Stiefel sind dicht, inzwischen scheint wieder die Sonne. Die Rohre sind bereit, die Abwässer aus dem Haus zu leiten, sobald im Haus das Wasser fließt.
Uns erreicht ein Telefonat der Installateure, dass sich ihre Ankunft noch verzögert. Ein kleines Missgeschick ist die Ursache. Doch auch für sie ist es keine Option, aufzugeben, sie finden einen zweiten Plan. Schon einige Male waren die Beiden in Rumänien ein Teil unserer Gruppe. Vieles ermöglichten bisher ihr guter Wille und die berufliche Kompetenz. Sie wissen in Bodo um die Notwendigkeit ihrer Präsenz. Jeder Durchbruch wäre umsonst, würde er nicht schnellstmöglich genutzt. Es ist wie im Leben.
Der Pastor kommt und wir brechen mit ihm auf, um einige Leute zu besuchen. Zuvor fahren wir ins Nachbardorf zum Familienarzt. Ein EKG-Gerät soll er bekommen. Wir hatten uns erkundigt, wie nötig es ist. Jemand erzählte, dass sie monatelang auf eine derartige Untersuchung warten müssen. Dann zahlen sie die „Gebühr“ dafür. Trotz vollem Wartezimmer bittet uns der Arzt herein. Im Behandlungszimmer wird es eng. Während er sich mit einem Patienten unterhält, verbindet die Schwester einer älteren Dame ein offenes Bein. Unter der Behandlungsliege schichtete jemand sorgfältig das Feuerholz für den großen Kachelofen auf. Der Arzt dankt herzlich für das Gerät, das ihm bei der Untersuchung seiner 1200 Patienten oft nützlich sein wird. Dringend benötigt er Spritzen und weitere Verbandsstoffe, teilt er auf unsere Anfrage mit. Auch an Desinfektionsmitteln und Medikamenten für Kinder fehlt es.
Wir verabschieden uns und besuchen eine ältere Dame. Vor einem Jahr trafen wir sie bei sich zu Hause. Feuerholz bezahlten wir ihr und das hat sie nicht vergessen. Sie bedankt sich sofort persönlich, als sie uns sieht und bittet uns heute herein. Es kostet uns Überwindung, das schiefe Lehmhaus zu betreten, nicht nur wegen seiner Statik. Die Glühlampe an der Decke kann den dunklen, vom Ruß geschwärzten Raum kaum erhellen. Zwei bettähnliche Liegeplätze, ein kleiner Tisch, ein Stapel dünnes Brennholz und der schiefe Ofen, der jeden Moment umzufallen droht, stellen das Inventar dar. Alles was nicht benötigt wird, liegt im Raum nebenan, in dem keine Lampe mehr funktioniert. Auch eine Wanne mit Wäsche steht darin. Wie man ein Leben in einer solchen Katastrophe aushält … auf diese Frage finden wir keine Antwort. Sie wird wieder Feuerholz für den Winter kaufen können, versprechen wir. Mit großer Freude über den Besuch verabschiedet sie uns und bedankt sich.
Die nächste Frau lebt etwas aufgeräumter. Sie ist psychisch krank und redet manchmal etwas durcheinander. Ihre Tochter kommt sie öfters besuchen und sorgt für Ordnung. Das Essen auf dem Herd sieht nicht aus, als wäre es genießbar, doch sie wird es essen.
Zu einem Herrn gehen wir anschließend. Er liegt im Bett und staunt über unseren Besuch. Viele Jahre arbeitete er als Bergmann in der Mine. Heute kann er nicht mehr laufen. Sein rechter Oberschenkel ist schon 10 cm verkürzt. Wer sich um ihn kümmert, fragen wir. Die Nachbarn kommen. Auch ein junges Roma-Mädchen bringt immer etwas zu essen. „Mein Sohn ist weit weg. Manchmal kommt er und täglich telefonieren wir.“, berichtet er. Eine einzige Gehhilfe hat er, aber die nutzt er nur, um die Lampe über seinem Bett einzuschalten.
Im Pfarrhaus laufen die Elektroarbeiten weiter und die ersten Schlitze sind schon zugeputzt. Einer hatte sich auch über den großen Holzhaufen im Hof erbarmt und ihn in den Schuppen umgelagert.
Wie schon so oft in diesen Tagen, suchen wir auch heute den kleinen Laden auf. Wir merken, dass es die Kommunikationspunkte in Dorf sind. Man begrüßt uns schon bald mit Handschlag. Hier drin gibt es die nötigen Dinge zum täglichen Leben, oder besser - zum Überleben. Die Unterhaltungen werden von Tag zu Tag intensiver. Was wir im Dorf tun und wieso, wollen sie wissen. Wir erklären, berichten und fragen nach ihnen. Eine Abwaschbürste gibt es nicht. In Lugoj hatten sie die schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, warum sollte das Teil in Bodo vorrätig sein.
Uns sind die Gespräche mit den Bewohnern enorm wichtig. Wir brechen mit Vorurteilen und begegnen den Menschen auf Augenhöhe. Nicht übereinander, sondern miteinander wollen wir reden. Wir werden in Bodo keine Häuser kaufen, sondern bessere Konditionen für diejenigen schaffen, die sich einladen lassen. Wir helfen die Blickwinkel zu weiten für Situationen und Menschen, die oftmals hinter dicken Mauern von Gewohnheiten und Lethargie verborgen, unerkannt und ungesehen existieren.
Die beiden Klempner treffen ein und es dauert nur wenige Minuten bis sie in die Arbeitskleidung gesprungen sind und das erledigen, was nur sie erledigen können. Alle Vorarbeiten waren unser bescheidener Beitrag zum Thema Wasserversorgung. Etwas zusätzliche Zeit gewannen wir dafür durch ihre kleine Verspätung. Wir bleiben einen Tag länger als geplant, denn es muss alles fertig werden. Die Gelegenheit ist günstig, wir beräumen ein weiteres Zimmer, um auch darin die alten Elektroleitungen durch neue zu ersetzen. Erst nach unserem Besuch im vorigen Jahr brannte im Dorf ein Haus wegen diesbezüglichen Mängeln ab.
Wir sind mit dem Pastor und dem Chef einer kleinen Baufirma verabredet. Gemeinsam besprechen wir die Fassadensanierung des Hauses. Der Putz fällt ab, der Sockel hat schon seit Langem keinen mehr. Die Stuckelemente im oberen Bereich sollen erhalten oder wenn nötig repariert werden. Es sind viele Quadratmeter, der Chef wird zu Hause rechnen. Trotzdem bemüht sich der Pfarrer in der nächsten Zeit um weitere Angebote, das muss sein. Ihm übergeben wir Geld, das für diese Sanierung geplant ist. Er weiß nicht wie er sich bedanken soll. Es wird sofort im großen Tresor verschlossen. Im Frühjahr soll es losgehen mit der Arbeit. Bis dahin gibt es genug vorzubereiten. Stück um Stück geht es voran.
Mit dem Pastor fährt ein Teil unserer Gruppe nach Lugoj. Gemeinsam besuchen wir eine junge Frau. Sie ist dreißig Jahre alt und lebt mit ihren zwei Söhnen in einer Blockwohnung. Seit ihrer Scheidung quälen sie spastische Probleme an den Beinen. Während sie sich, auf den Schrank stützend, mit uns unterhält, zittern ihre Beine unentwegt. Sie ist ca. 100 km entfernt, in Arad in Behandlung und muss dort immer einige Zeit bleiben. Wir versprechen, dass sie ein Zimmerfahrrad bekommt, um die Muskulatur zu kräftigen. Das konnte sie sich bisher nicht leisten. Das Modell soll mit dem Arzt abgestimmt werden.
So bekommen wir immer neue Einblicke in das Leben von Menschen und sind in der Lage, vereinzelt helfen zu können. Es ist nicht der „Tropfen auf dem heißen Stein“, der sogleich verdampft und auch nicht die Gießkanne, die mal hier und mal dort etwas schnell und willkürlich bewässert. Für diejenigen, denen wir helfen, bedeutet es mindestens einen Zugewinn an Lebensqualität. Der Pfarrer entwickelt mit seinen Helfern ein soziales Engagement und Netzwerk, was er schon lange im Plan hatte. Doch allein auf sich gestellt, reichte seine Kapazität in vielerlei Hinsicht nicht aus. Es waren ihm dafür bis jetzt enge Grenzen gesetzt, unüberwindlich, Mauern gleich. Gemeinsam durchbrechen wir auch sie. Wie beim Betonfundament in Bodo sind der Wille, Geduld und Energie nötig, sowie die erforderlichen Mittel. Das Ziel vor Augen sehend, können wir es angehen, wissend um die vielen Freunde und Unterstützer in unserer Heimat. Sie übergaben uns im vollen Vertrauen Sach- und Geldspenden, jetzt erreichen sie die entsprechenden Empfänger.
Im Pfarrhaus hat sich einiges getan. Am Abend fließen die ersten Liter des sonst mühsam herbei geholten Wassers aus dem Wasserhahn. Dank des Geschirrspülers können sich nach gut einer Woche ab sofort vom Abwasch strapazierte Hände erholen. Auf dem Herd brodelt das Essen, für den Freund aus Hunedoara zum letzten Mal. Er verabschiedet sich. Auch ohne den Besuch bei ihm zu Hause unterstützen wir die Familie weiterhin. Winterkleidung, Schuhe, einige Lebensmittel und die „Entlohnung“ für seine Mitarbeit füllen das Auto. Er weiß, dass wir in Verbindung bleiben, auch wenn er jetzt abreist.
Samstag ist unser letzter Tag in Rumänien. Die Klempner geben ihr Bestes und wollen sich am frühen Nachmittag verabschieden. Die Anschlüsse liegen und das Auto ist gepackt, während die anderen noch Steckdosen einbauen und Schlitze zuputzen. Doch so plötzlich kann man sich nicht verabschieden. „Bitte noch die Eckventile anbauen!“ Also, noch einmal Werkzeug rausholen und Hanf. Eine Reduzierung für den Abfluss fehlt im ganzen Paket. Das erledigen wir. Nach einer guten halben Stunde fährt das Auto mit ihnen vom Hof zurück nach Deutschland.
„Dafür sind sie 3000 Kilometer unterwegs gewesen.“ Die Küchenfrauen staunen. Schnell ging es und die Kupferrohre sind noch warm vom Löten. Ja, eigens dafür sind die beiden den weiten Weg gefahren. Trotz beruflichem Stress und eigenen Baumaßnahmen zu Hause machten sie sich auf den Weg, um zu helfen. Jemand anderes stellte ihnen das Auto zur Verfügung, ohne das auch nichts gelaufen wäre. Nur im Zusammenspiel vieler Beteiligter, getrieben von gutem Willen, persönlichem Einsatz, Kreativität und einer tiefen Überzeugung, ein Stück vom Eigenen für andere zu investieren, gelingen solche Projekte. Dass dabei Neues, oft Unerwartetes, aber Gutes geschieht, das ist Segen. Den können wir nicht erarbeiten, aber er wird uns und unseren Freunden und Partnern zuteil. Wir können ihn gemeinsam entdecken und dankbar annehmen, dessen sind wir uns bewusst.
Die Reduzierung fehlt immer noch. Wird sie am Samstagnachmittag in der Umgebung aufzutreiben sein? Der Weg führt zum wiederholten Male in das Nachbardorf. Der Ladenbesitzer steht zu unserem Glück auf der Straße, er kennt uns schon. Er weist auf das kurze Programm am Samstag hin. Auf den Schild steht „Samstag 8-12 Uhr“, jetzt ist es drei und vor sich hin murmelnd sucht er das entsprechende Teil. „Wir kommen erst in einem Jahr wieder!“, versprechen wir und danken für seinen guten Willen und die Hilfe. Freundlich verabschiedet er uns und selbst seine Frau winkt uns nach. „Die Deutschen sind schon zäh.“, werden sie denken. Und dennoch führt es manchmal zum Erfolg, nicht gleich aufzugeben.
Restliche Sockelfliesen in der Küche sind zu schneiden und anzukleben, während im Bad Waschbecken, Ausgussbecken und WC an die vorgesehenen Plätze montiert und angeschlossen werden. Als Letztes wartet noch die Duschkabine auf den Zusammenbau. In der Küche steht seit geraumer Zeit das Essen bereit. Der Pfarrer und seine Frau brachten es schon vor einer Stunde. Bloß nach dem Essen wollte niemand wirklich noch einmal zu den Werkzeugen greifen. Also wird gerätselt, probiert und montiert, bis alles wie geplant sitzt und nichts mehr klappert. Fertig für dieses Jahr!
Wir genießen Paprikaschoten aus Pfarrers Garten und das Fleisch seiner Hühner. Auch die Tiere werden sich freuen, wenn wir abreisen, denn das bedeutet vorerst eine weitere Überlebenschance für sie. Alle Anspannungen fallen ab, alles ist erledigt. Viel Neues ist gewachsen: materiell Sichtbares, Zwischenmenschliches, Voraussetzungen für Weiteres - aber vor allem die Erkenntnis, etwas in Gang setzen und bewegen zu können.
Dank Ihnen und mit Ihnen allen wissen wir uns bei den Gedanken daran eng verbunden. Erst vor einem Jahr starteten wir in Bodo. Es war wie ein vorbereiteter Boden, auf dem so vieles Neues aufbricht und zu keimen beginnt. Dinge verändern sich, wenn Menschen bereit sind, sie mit zu tragen. Sie als Leserinnen und Leser dieses Reiseberichtes waren, sind oder werden vielleicht solche Menschen sein. Wir wurden überall beauftragt, Ihnen ganz persönlich dafür den Dank zu überbringen. Das ist unser Gepäck für die Heimreise. Es ist leicht und gern übergeben wir das auch an dieser Stelle.
Wir reisen am frühen Sonntagmorgen ab. Der Verkehr ist ruhig. Aus der Ferne grüßen wir Temeswar im Vorüberfahren. Ungarn – Österreich – Deutschland, nach der Rekordzeit von zwölf Stunden kommen wir nach 12 Tagen wieder wohlbehalten zu Hause an. Gott sei Dank, auch dafür. Wir haben Rumänien hinter uns gelassen, im Kopf liegt es bereits wieder vor uns. Die Partner, Freunde und Bekannten lassen wir zwar zurück, doch gehen wir den Weg auch weiterhin gemeinsam. Durchbrüche sind in den Mauern nötig gewesen - im Leben werden sie immer vonnöten sein. Wir sahen Mauern instabil werden und fallen. Wo sich dann Licht den Weg da hindurch bahnt, entsteht Hoffnung. Aus ihr möge Mut wachsen, Mut zum Leben und für eigenes Engagement. Wir sind froh und dankbar, auf diesem Weg Steine beiseite räumen zu dürfen, damit andere den Weg finden. Dafür waren sie auch nötig, die Durchbrüche – gebohrt und gestemmt durch Beton und Mauerwerk. Und natürlich waren Sie alle nötig, weil Sie diesen Einsatz von Neuem mit Ihren Spenden und Gebeten gefördert haben. Möge es auch in Ihrem Leben geschehen, dass Mauern fallen und Wege geebnet werden, wo ein Vorwärtskommen schwer fällt. Möge es dort Licht werden, wo die Dunkelheiten Angst machen. Gerade in den dunklen Tagen denken wir daran, dass da jemand war und ist, der von sich sagte, dass er das Licht der Welt ist, auch in jeder persönlichen Welt. ER gibt uns mit seinem Licht die Orientierung, auch in Rumänien. Mögen Sie von IHM gesegnet sein, wo und wann immer es nötig ist – in Ihrem Leben.
Herzlich grüßt Sie, auch im Namen unsere Freunde
Albrecht Feige, AK Rumänien