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Reisebericht Oktober 2019

Von Rucksäcken und Hoffnungen

Wie in jedem Jahr um diese Zeit fallen die bunten Blätter der Bäume auch in diesem Herbst zu Boden. Nebel bremst am Morgen die Sonne aus und behindert die Sicht im Straßenverkehr. So wie jedes Jahr um diese Zeit versuchen wir die Tage zusammenzufassen, an denen wir in Rumänien unterwegs und tätig waren. Monate der Vorbereitungen, Planungen, Absprachen, Besorgungen und Änderungen münden in jene Tage, an denen sich zeigt, wie und ob die Fäden zusammenlaufen. Möbel, Lebensmittel, eine Werkstatteinrichtung, Süßigkeiten, Rollstühle und Gehhilfen, Fahrräder und vieles mehr warten, darauf verladen zu werden. 

Die Nachtruhe zum 17. Oktober ist kurz und unruhig. Sehr früh am Morgen rollt das Auto aus der Scheune gen Osten und der lang ersehnte „Urlaub“ beginnt. Zu viert sind wir unterwegs. Ein Erstreisender ist unverzichtbarer Teil der Gruppe, um geplante Vorhaben umzusetzen. Die Ladung hinter uns im Transporter gibt, zusammen mit den einzeln vorbereiteten Briefumschlägen, Zeugnis von der großen Hilfsbereitschaft der Menschen, die diese Arbeit fördern und so auch diese Fahrt ermöglichten. Ausgestattet mit allen Spenden und dem großen Vertrauen der Absender sind wir es, die das überbringen und erledigen dürfen, was geplant ist. Das ist uns jedes Mal bewusst und wieder nehmen wir es dankbar wahr. Bereits im August übergaben wir die erforderliche Summe, die in Balanu die wöchentlichen Mahlzeiten für Bedürftige garantiert. Bereitwillige Spender setzten sich dafür ein. Wir passieren Passau und Wien. An der Umgehung Budapests staut sich der Verkehr in allen drei Spuren wie schon im letzten Jahr. Auch der Grenzübergang Nadlac vor Rumänien ist gut besucht und wieder üben wir uns in Geduld. Nach der Autobahnabfahrt zwingen die Straßenzustände zu erhöhter Aufmerksamkeit. 

Geschafft, angekommen nach 13 Stunden, in die Einfahrt einrangiert, begrüßt uns Pastor Kovacs herzlich. Noch vor dem ersten Hinsetzen laden wir, auch wie in jedem Jahr, das Auto aus. Erst dann beginnt der gemütliche Teil des Abends. Wir entledigen uns gern der vielen Grüße aus der Heimat, bevor wir es im Trubel des Wiedersehens vergessen. Unser Erstreisender fühlt sich nach wenigen Minuten genauso zu Hause wie wir. Jeder findet sein Bett, wie in jedem Jahr. Auf der Straße, im größten Kreisverkehr der Stadt, wechseln sich die Hupen ungeduldiger Autofahrer mit den Sirenen der Krankenwagen ab, auch wie immer. 

Doch nicht alles ist wie immer, besonders für den Pastor und seine Frau nicht. Seit fast einem Jahr wohnt bereits die Mutter des Pastors mit in der Wohnung. Nach einer schweren Zeit in Brasov / Kronstadt musste ihr ein Bein amputiert werden. Komplikationen dauern bis heute an und geben wenig Aussicht, davon je befreit zu werden. Allein konnte sie dort nicht mehr wohnen. Ihr Bett steht nun im Wohnzimmer und der Tagesablauf für das Ehepaar hat sich grundlegend verändert. In der ersten Zeit, so erzählen sie, musste ständig jemand zu Hause sein. Nichts funktionierte allein und der psychische Zustand der Mutter ließ keinen Spielraum für einen selbst bestimmten Tagesablauf. Mit großer Hingabe haben sie die Frau vom ersten Tag an umsorgt, ohne je auf so etwas vorbereitet gewesen zu sein. Dringend erforderliche Arztbesuche und Behandlungen ermöglichte erst ein spezieller Stuhl, mit dem sie die Treppen hoch und herunter geführt werden kann. Dieses momentan wichtigste Hilfsmittel im Haushalt stellte eine Orthopädische Werkstatt aus Arnstadt zur Verfügung und im April übernahm eine Spedition den Transport nach Temeswar. Dass die mit dieser Last verbundenen Kosten, trotz 35 Jahre lang gezahlter Krankenversicherung, teurer sind als die Rente der Frau, kann man nicht begreifen. Die Tatsache, dass von der Krankenkasse bezahlte Medikamente nur in den ersten beiden Tagen des Monats in den Apotheken erhältlich sind, verschlägt unserem Erstreisenden ein weiteres Mal die Sprache. 

Wir erleben in der Familie aufs Neue die Widrigkeiten als Ergebnisse des korrupten Wirtschaftssystems. Auch 30 Jahre nach der Revolution in diesem Land sind das die tagtäglichen Herausforderungen der Bevölkerung. Einem einigermaßen funktionierenden Pflegesystem fehlt es an jeglicher Infrastruktur. Wenn das die Situation in einer der größten Städte des Landes ist, kann man die Verhältnisse in Dörfern oder an abgeschiedenen Orten noch nicht erahnen. Dort wird eben schneller gestorben. Wir besprechen das Programm der nächsten Tage. 

Am Samstag steht für uns die Fahrt nach Jimbolia in das Kinderheim an und Pastor Kovacs reist mit seiner Frau nach Ungarn, wo sie zu einer Hochzeit eingeladen sind. Bereits im Vorfeld der Fahrt hatten wir zugesagt, den Sonntagsgottesdienst mit zu übernehmen, so dass sie mit ruhigem Gewissen der Reise zustimmten. 

Der Freitag dient der Entspannung. Auf der neuen Straße, dem Prachtstück des Bürgermeisters, geht’s zum Baumarkt. Die breitere Straße zwingt die Fußgänger und Fahrradfahrer den schmaler gewordenen Gehweg gemeinsam zu nutzen. Es hat sich schon etwas getan. Wir suchen für unsere Bautätigkeiten in der kommenden Woche noch eine Leiter und werden auch fündig. Die Sonne macht die Herbstkleidung überflüssig. Es sind gute Aussichten für uns. Der Weg führt uns zu den bekannten und für die Stadt berühmten Plätzen. Vom Domplatz zum Freiheitsplatz und weiter zur Oper und der großen Kathedrale. Es ist wie im Urlaub und wir saugen die Atmosphäre ein ohne viele Geschäfte zu besuchen, wenigstens fast alle. Auf dem Markt begrüßt uns „unsere“ Gemüsefrau und ebenso in der Halle die Käseverkäuferin. Draußen wie drinnen sind es weniger Stände geworden, an denen Geerntetes oder Fleisch und Milchprodukte aus eigenen Produktionen ausliegen. Wir versprechen, in einer Woche wiederzukommen und begnügen uns heute mit etwas Obst. 

Zu Hause gibt es Zeit, sich mit der Mutter zu unterhalten. Sie freut sich darüber. Auch sie kennen wir schon viele Jahre. Nach den Operationen an Hüfte und Bein ist sie sichtlich gealtert. Ihr Bewegungskreis hat sich seit einiger Woche vom Bett zum Toilettenstuhl und zurück erweitert, was sie seit dem selbständig meistert – für alle Beteiligten ein großer Fortschritt. Später erfahren wir mehr von den seit Jahren andauernden Problemen offener Wunden. Spezielle Materialien, hier immens teuer, konnten wir leider auch nur in begrenzter Anzahl besorgen. Doch der Pastor freut sich sehr über den entsprechenden Karton. 

Am Samstagmorgen kommt die Tochter des Hauses mit ihrem Mann. Wir besprechen gemeinsam den Gottesdienst am kommenden Tag. Es ist unkompliziert und wir freuen uns darauf. Sie erzählen von der Arbeit und ihrem Engagement in ihrer Kirchgemeinde. Die Wohnung ist noch ein Sorgenkind, denn gute Handwerker sind immer seltener zu finden. Der Fliesenleger war zwar gekommen, aber die Fliesen treffen sich in der Küchenecke leider nicht wie geplant, da die Fuge um einige Zentimeter verrutschte. Diejenigen, die es besser können sind meistens im Ausland mit dem Geldverdienen beschäftigt. Das ist ebenso ein Dauerthema, welches uns an allen Orten begegnet. Es begrenzt sich eben nicht nur auf medizinisch qualifiziertes Personal. 

Um die Mittagszeit brechen wir alle auf. Die Kovacs-Eltern fahren nach Ungarn, die Kinder gehen nach Hause und wir haben Jimbolia als Ziel vor Augen. Die Bratwürste von unserem Fleischer zu Hause tauen noch auf und die Torte aus der Temeswarer Konditorei steht, wie fast in jedem Jahr, wieder gut gesichert im Auto. 

Pünktlich kommen wir am Kinderheim an. Einige der Kinder reiben sich noch den Schlaf aus den Augen. Wenn man weiß, dass sie täglich über fünfzig Kilometer mit dem Zug zur Schule nach Temeswar pendeln, wundert sich niemand mehr darüber. Es bedeutet für alle einen 11-Stunden-Tag, an dem danach noch die Hausaufgaben und die täglich notwendigen Arbeiten in Haus und Hof warten. Da beschränkt sich Freizeit meist nur noch auf den Sonntag, oder eben auch auf den heutigen Nachmittag. Wieder helfen sie gern beim Ausladen. Winterjacken und Schuhe sind immer gefragt. Lebensmittel, Drogerieartikel Süßigkeiten und Samen für den großen Garten erreichen die Empfänger. Nur einen Karton tragen wir selber ins Haus. Nach vielem Fragen, was gebraucht wird, äußerten sie den Wunsch nach einem neuen Fernseher. Zu unserer Erleichterung funktionieren der Anschluss und die Einstellung relativ zügig. Das ist schon eine andere Nummer als das bisher grießelige Bild des alten Apparates. Ballspiele und Gespräche runden den Nachmittag ab. Enttäuschungen der „Kleineren“ verrauchen in den Armen des Einen oder der Anderen. Die kürzlich angereiste staatliche Kontrolle zur reibungslosen und EU-konformen Unterhaltung der Einrichtung hinterließen Auflagen und zu bewältigende Aktenberge. Ein wenig helfen bei der Erledigung auch unsere Mittel, die wir übergeben können. Die Zeit vergeht schnell, bis der Rost brennt und die Farbe der Würste den entsprechenden Genuss ankündigt. Die Sonne ist verschwunden und wir verabschieden uns nach schönen Stunden - Gott und allen Helfern sei Dank. Halt, die Torte…, und ab geht die Reise nach Temeswar. 

Wir laden das Auto für die nächste Station, Bodo. Ein Abstecher zum Bierhof der Brauerei, als nächste anstehende Aufgabe, wäre noch zu erledigen. Das macht nicht viel Mühe, denn es sind nur wenige Schritte. Ein bisschen Spaß muss sein und wir genießen den lauen Herbstabend, bevor später die Schwiegermutter das Essen auftafelt. 

Doch immer noch bewegen uns die Kinder und ihre Geschichten. Wir entdecken darin so viele Hoffnungen. Gerade der Größte von ihnen – Andi – arbeitete während der Ferien und absolvierte einige Praktika. Im kommenden Jahr beendet er das Lyzeum und hat sehr konkrete Vorstellungen von seinem Studium im Bereich der Filmtechnik. Sie alle haben sich so entwickelt, wie man es Kindern und Jugendlichen nur wünschen kann. Der Traum Piroschkas, der Leiterin, die vor zwei Jahren unerwartet verstarb, „ihren“ Kindern ein liebevolles Zuhause und ein gutes Fundament für ein eigenständiges Leben mitzugeben, beginnt sich mit Andi zu erfüllen. Ihre Mühen und schlaflosen Nächte waren nicht vergebens. Seit ihrem Tod führt die Schwester mit ihrer Tochter die Einrichtung weiter. Aus Kindern sind Jugendliche herangewachsen und gereift, die zwar ihre Traumata der Kindheit nicht abstreifen können, aber denen in diesem Haus die Gewissheit geschenkt wurde, geliebt und wertgeschätzt zu sein. Dass christlicher Glaube trägt und zu Außergewöhnlichem befähigt, wenn er zum praktischen Tun umgesetzt wird, dass erkennen wir am Beispiel der Kinder von Jimbolia. Unter der Decke der täglichen Last keimt Hoffnung und Zuversicht. 

Genau um diese Themen kreist der Gottesdienst am Sonntag. Um 10 Uhr trifft sich die Gemeinde und wir halten ihn mit der Tochter des Pastors und ihrem Mann in drei Sprachen. „Glaube und Werke“ sind das Thema. Was hat welche Wertigkeit, wozu kann Glauben im Alltag motivieren und wie ist beides miteinander verwoben. Ein nur theoretischer Glaube ist ein toter, so sagt es die Schrift. Wir reden über uralte Texte und entdecken die unvergänglichen Werte in ihnen, eben auch in unseren oft so unruhigen und manchmal unverstandenen Tagen. Wo Wertigkeiten aufweichen und Unsicherheiten wachsen, wenn sich Wege versperren und böse Stimmen die Oberhand zu gewinnen suchen, fragen wir nach Hilfe und Helfern. Manchmal ist uns solche Hilfe näher als wir glauben, wenn wir nur den Mut finden, uns IHM zu nähern, der das alles getragen hat und Hilfe bietet. Wir haben erfahren, dass ER trägt, egal ob in Deutschland oder in Rumänien oder einem anderen Land. Nicht alle Wege werden geebnet - aber einer immer. Wo alles versperrt scheint, da öffnet sich unerwartet eine andere Tür. Wir erzählen von uns und wir erzählen von Jimbolia. Rucksäcke bleiben manchmal im Leben. Sie bleiben auf dem Rücken und einer lädt uns ein, nicht nur dorthin zu schauen, sondern das Licht der Hoffnung vor uns zu entdecken. 

Trotz der drei Sprachen verstehen wir uns, was sich auch nach dem Gottesdienst zeigt, bei Kaffee und Kuchen. Immer wieder danken uns die Leute für unsere Hilfe und selbst für die Besuche in unseren Gemeinden, die für viele schon lange Zeit zurückliegen und doch noch so lebendig sind. Die Schwiegermutter wartet auf uns mit der Suppe, die es heute zum Essen gibt, auch wie in jedem Jahr. Danach brechen wir auf. 

Die Reise dauert nur knapp eine Stunde, bis wir in Bodo wieder aussteigen. Kurz vor der Stadt Lugoj gelegen, kommen wir zum dritten Mal am ehemaligen Pfarrhaus der Reformierten Gemeinde an. Die Sonne verwöhnt uns weiterhin. Pastor Feri erwartet uns schon und auch die gute Seele des Hauses, Ibi, läuft hin und her. Uns erreicht die Nachricht, dass die Freunde aus Hunedoara kurz vor dem Ort stehen und nach dem Weg fragen. Da unsere Zeit für einen Besuch bei ihnen nicht ausreicht, haben wir sie hierher eingeladen. Mit ihnen besuchen wir den Gottesdienst, andere räumen das Auto aus, zum letzten Mal. Die Sonne drängt uns zum Kaffee in die Küche. 

Alexandrus Taxi war nicht mehr reparabel, ein neues musste her. Der Dacia zeigt auch schon über 200 000 Kilometer an, ist aber wesentlich besser als der alte. Reich wird er in dem Geschäft nicht, doch sie können überleben. Julian, der jüngste der sieben Kinder, überragt seinen Vater um einiges. Er besucht das Lyzeum und erreicht dort Bestnoten, eine gute Vorraussetzung für ein Studium. 

Auch Cristi und seine Familie sind mitgekommen und freuen sich, uns wieder zu sehen. Vor einigen Jahren ermöglichten wir ihnen den Anbau einer kleinen Küche. Die Freundschaft hat gehalten. Mit ihnen sind wir hoch erfreut darüber, was sich seit unserem letzten Besuch im und am alten Pfarrhaus getan hat. Es ist nicht wiederzuerkennen. 

Mit Alexandru verlegten wir im vergangenen Oktober noch die Abwasserleitung bei strömendem Regen. Heute erstrahlt das Haus mit einer rundherum neu renovierten Fassade. Eine um das Haus verlegte Drainage verhindert aufsteigende Nässe. Der zum Hof zeigende Flur bekam Thermoscheiben statt der kleinteiligen, einfachen Verglasung. Der offene Bereich vor der Küche ist geschlossen und mit einer neuen Eingangstür versehen. Neben vielen Einzelspenden ergänzten die Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ und das Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum, beides Einrichtungen der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland, die Finanzierung der Baumaßnahmen. 

Doch auch im Haus hat sich einiges verändert. Die Trockentoiletten sind verschwunden und mit ihnen die Holzwände. Neuer Estrich und frisch verputzte Wände lassen die alten Erinnerungen verblassen, eine Werkstatt soll in den nächsten Tagen an der Stelle ihren Platz finden. Das im letzten Herbst installierte Badezimmer ist gefliest. 

Frisch verputzte und gestrichene Wände, die abgehangene Decke und die Möblierung lassen mit einem ersten Raum erkennen erkennen, was mit dem Umbau und der Sanierung des Hauses einst geplant wurde. Es soll ein Ort der Begegnung für die verschiedenen Altersgruppen entstehen. In einem Dorf, in dem es dazu keine andere Gelegenheit gibt sich zu treffen, abgesehen von dem einen Dorffest im Jahr, öffnen der Pastor und die Gemeinde ihre Türen. Die Küche ist längst in reger Benutzung, für die unterschiedlichsten Ereignisse wird darin das Essen vorbereitet. Mit unseren Freunden staunen wir über den Fortschritt. 

Im Hof brennt ein Feuer für die Bratwürste. Langsam vertreibt der anbrechende Abend das Licht und die Freunde verabschieden sich. Für die Kartons mit den Lebensmitteln, Schuhen und manchem anderen danken sie herzlich. Alexandru wird den noch offenen Kredit für das Auto zurückzahlen und Cristi wird Feuerholz bestellen können. Ihre Lebenssituationen haben sich grundlegend verändert. Gerade Alexandru und seine Frau steckten ihre ganze Energie und die finanziell äußerst bescheidenen Mittel in die Zukunft der Kinder, nicht ohne Erfolg. 

Am Abend formulieren wir die konkreten Ziele für den nächsten und die folgenden Tage. Unser Schlafraum erhielt schon im vergangenen Herbst neue Elektroleitungen. Auch der Fußboden und die Decke sind im Rohbau fertig. Nun warten in den kommenden Tagen der nächste Aufenthaltsraum, das Büro und der Gemeinderaum auf die neue Elektroinstallation. Letzterer ist nach dem Gottesdienst noch auszuräumen. Alle anderen Zimmer sind gut vorbereitet und zusammengeräumt. 

Nach dem Frühstück am Montagmorgen laufen bald die Maschinen. Mit der Ruhe ist es in den nächsten Tagen somit vorbei. Alter Putz, neue Dosen und Leitungen, Staub und Schmutz wandern durch unsere Hände. Nach und nach findet alles seinen Platz. Auch die mitgebrachten Regale, die Werkbank mit Schraubstock und Werkzeugen lassen endgültig die Erinnerungen an die alten Plumpsklos verblassen, als die neue Werkstatt eingeräumt ist. 

Es ist Mittwochabend und wir treffen uns zum Essen mit einigen Leuten aus dem Kirchenvorstand. Wir besprechen die weiteren Schritte und freuen uns über alle Kreativitäten, die während der Planungen wachsen. Ein Handwerker ist dabei, der durch die abgelieferten Qualitäten beim Innenausbau in der Vergangenheit überzeugte. Er soll nun dafür gewonnen werden, den weiteren Ausbau der Räume zu übernehmen. Jedoch hat er das gleiche Problem wie alle im Land verbliebenen Handwerker, er ist ausgebucht. Wir zeigen ihm nach dem hervorragenden Essen die anfallenden Arbeiten. Er begreift schnell worüber die Rede ist und will sich bemühen, schnellstmöglich zu beginnen. 

Gemeinsam nehmen wir uns Zeit um über die Bedingungen im Dorf und die Menschen zu reden, natürlich im positiven Sinn. Wir suchen nach Möglichkeiten, Bedürftigen zu helfen. Nach und nach finden sich Wege. Eigentlich kam bisher noch niemand und hat nach so etwas gefragt. Da nirgendwo Ressourcen bestanden, war das auch kein Thema und jeder hat vor sich hin gelebt – teilweise eben auch gelitten. Wir besprechen gemeinsam die Besuche, die wir für den nächsten Tag planen, bevor sich alle verabschieden. 

Der Donnerstag ist der letzte Tag für uns in Bodo in diesen Herbst. Die Arbeiten im Haus gehen dem Ende entgegen. Neue Standards sind gelegt. Was für uns normal erscheint, das gilt hier oft als Luxus. In der Vergangenheit gab es viele Unfälle und Brände auf Grund mangelhafter Elektroanlagen oder Geräte, auch in Bodo. Die geplanten Hausbesuche stehen an. Einer Familie halfen wir im Frühjahr nach dem Hochwasser und überschwemmten Zimmern bei der Finanzierung neuer Fußböden. Die Frau hatte uns aufgesucht und eingeladen. Sie führt uns ins Haus und zeigt uns die mit Fliesen renovierten Böden. Das Holz war nicht mehr zu retten. Der geistig behinderte Sohn wurde von ihnen vor fünf Jahren als Baby adoptiert und quirlt aufgeregt umher. „Wir liebten ihn vom ersten Tag an.“, hören wir. Ein Spielzeug sehen wir nicht und wir fragen uns, wie seine Förderung aussehen könnte und wie er sich mit einer solchen wohl entwickeln würde? 

Der Besuch eines anderen Ehepaares ist vorbereitet. Beide, schon viele Jahre im Rentenalter, sind im Schlafzeug bei dem schönen Wetter in Hof postiert. Ihr Sohn kümmert sich um sie, gemeinsam mit einer Nachbarin. Die Frau bekam nach einem Sturz und dem Bruch des Oberschenkels dort eine Platte eingesetzt. Sie sitzt in einer Art Rollstuhl. Ihr Mann, Zeit seines Lebens als Waldarbeiter tätig gewesen, kann auf Grund von Gicht und Rheuma in den Händen keinen Bleistift mehr halten. Er reagiert auch nur noch sehr verhalten, wenn er angesprochen wird. Der Sohn zeigt uns das kleine Zimmer in dem sie leben, wenn sie mal nicht im Hof sitzen. Alles ist sauber, aber eben viel zu eng durch die beiden Betten. Er steht wohl nur noch selten auf und braucht dringend dafür einen Rollator oder Gehbock. Der Kauf der Inkontinenzmaterialien verschlingt einen großen Teil der Renten. Wir versprechen, uns um beides zu kümmern. 

Der nächste Besuch führt uns zu einer alten Dame, die wir schon länger kennen. Sie hat ein kleines, neues Häuschen im hinteren Teil des Hofes bezogen. Der Sohn, von dessen Einkommen als Kuhhirte beide auskommen müssen, lebt weiterhin im alten Lehmhaus, weil darin nach wie vor der Fernseher steht. Er ist behindert und so scheint er nicht wahrzunehmen, dass der Aufenthalt mehr als lebensgefährlich ist. Tiefe, die Wände überspannende Risse, in die Luft ragende Dachsparren ohne jede Verbindung und oben weit aus dem Lot stehende Wände drohen jeden Moment das Haus zum Einsturz zu bringen. Wer fragt nach solchen Menschen? Auch die Nachbarn sind hilflos. Oft bedankt sich die Frau über die Hilfe in den letzten Jahren und weiß, dass im Ernstfall der Pastor helfen wird. Aber was bedeutet angesichts solcher Zustände noch ein weiterer Ernstfall? Soziale Betreuung fehlt überall. Solange die Gesundheit und Kräfte mitspielen, mag das Leben einigermaßen funktionieren. Aber wehe, es beginnt irgendwo und irgendwann zu bröckeln! Das Netz hat auch in Bodo große Maschen. Wir denken nach, über das Haus und über Menschen wie den Pastor, den Bürgermeister und Annamaria. Am Abend zuvor sprachen wir genau darüber. Wir denken auch an den zweiten Transport, der in Kürze Rollstühle, Gehhilfen aller Art, Inkontinenzmaterialien und Lebensmittel hier her bringen wird. Wir spüren die Lasten, die getragen werden und möchten so gern ein wenig beim Tragen helfen. 

Der letzte Tag endet mit dem gemeinsamen Abendessen mit dem Pastor und seiner Familie. Das Auto ist gepackt, die Werkstatt eingeräumt, das Material verbaut und die Briefumschläge für die Sozialkasse und die Bauarbeiten bis zum nächsten Oktober in Safe verschlossen. Also – alles erledigt? Vielleicht für dieses Mal. Die Freunde ringen nach Dankesworten und geben uns jede Menge Grüße mit zurück auf die Reise. Wir erlebten eine Zeit vieler Begegnungen. Während dieser Tage hat es uns alle bereichert einander zuzuhören, aufmerksam zu sein, gemeinsam zu arbeiten und zu essen, miteinander zu trauern und zu lachen. 

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen und einem letzten Foto geht die Fahrt zurück nach Temeswar. Auf dem Markt füllen sich unsere Beutel mit Gemüse und Käse. Pastor Kovacs ist schon unterwegs zu einer Tagung. Auch die Mutter freut sich über unsere Ankunft und wir erzählen ein wenig. Schnell vergehen die wenigen Stunden bei der traditionellen Hühnchenmahlzeit aus der Bratröhre. 

Samstagmorgen sind wir auf der Rückreise. Vieles geht uns durch den Kopf, wir haben ja genügend Zeit um nachzudenken und das geschieht ganz von allein. Was ist erledigt und was nicht? Was kommt als nächstes oder wo setzen wir an? Was ist unsere Aufgabe und wie kommen wir ihr nach? Ist es unser Verdienst, in anderen Verhältnissen geboren zu sein und zu leben oder ist es nicht ein Geschenk und so die Herausforderung, da heraus zu agieren? Vieles ist uns geschenkt, stellen wir fest. Was heißt es, verantwortlich mit unseren Ressourcen umzugehen, sie zu teilen? Hilft das wirklich den anderen beim Tragen der ganz persönlichen, oft prall mit Mühen und Lasten beladenen Rucksäcke? 

Vielen Menschen sind wir begegnet – in Temeswar, in Jimbolia, aus Hunedoara und in Bodo. Menschen, wie die Genannten, öffnen ihre Augen und bekommen eine neue Perspektive. Sie beginnen sich einzusetzen, wo und wie es möglich ist. Aber eben auch Menschen in unserer Heimat haben verstanden, dass die eigene Verantwortung nicht an der Haus- oder Hoftür endet. Sie sind bereit das „Wie“ der Konditionen Bedürftiger aufzubrechen. Vielleicht werden Lasten nicht sofort leichter, aber die Rucksäcke sollten auf dem Rücken bleiben, damit sie die Sicht nach vorn nicht einengen. Wo der Blick freier wird, da kommt Licht entgegen. Wenn Hoffnungen aufleben, dann gibt es Ziele und scheinen sie noch so unscheinbar. Wer ein Ziel hat lebt auf, gewinnt ein Stück Hoffnung – für sich selbst oder auch für andere. Nicht alles hängt von uns ab, aber manchmal kommt es doch auf uns an. 

Danke Ihnen allen, die Sie sich neu darauf eingelassen haben, nach Ihren Möglichkeiten mit zu helfen, wo Mangel herrscht. Begegnungen ermöglichen und Konditionen schaffen, zuhören, verstehen wollen, miteinander nach Wegen zu suchen und um Lösungen zu ringen, das sind unsere Aufgaben für d i e Menschen mit Lasten und ohne Perspektiven, die uns vor die Füße gelegt sind. Uns hat der Weg nach Rumänien geführt, ohne aus der Heimat zu flüchten. Wir wissen uns beauftragt und gesendet. 

Vielen Dank Ihnen und allen, die mit uns auf dem Weg waren und sind. Vielen Dank IHM, der uns dazu wieder Seinen Schutz und Segen gegeben hat. Möge SEIN Segen auch Ihnen neu zuteil werden.

Herzlich grüßt Sie, auch im Namen unserer Freunde in Rumänien,

Albrecht Feige, AK Rumänien.    

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