Reisebericht 2024
Von guten Freunden, schlechten Dächern und fehlenden Toiletten
Um es gleich vorwegzunehmen, bis auf die guten Freunde hat sich der Inhalt der Überschrift im zu Ende gehenden Jahr schon ein wenig verändert. Unsere Rumänien-Aktivitäten hinterließen zahlreiche Spuren, zumindest in den Projekten und in vielen Einzelfällen.
Uns in Deutschland umgebende Nachrichten machen mitunter mürbe, so wir nur diesen Blickwinkel einnehmen. Wer in Osteuropa unterwegs ist, versteht einen dort tätigen Minister, der auf einer kürzlich stattgefundenen Konferenz einem deutschen Reporter gegenüber bemerkte, dass er mit den deutschen Problemen gerne tauschen würde. Nichts soll klein geredet werden, aber es relativiert sich einiges, wenn wir bereit sind, unseren Horizont zu erweitern.
Das, worüber wir an dieser Stelle berichten, ist nur einen Windhauch von uns entfernt und dennoch so anders als Gewohntes. Manchmal ist es so einfach, mit kleinen Dingen für andere etwas Großes und fast Unerreichbares zu schaffen. Das zu erkennen sind die Momente, die uns motivieren aufzubrechen. Einen Auftrag auszuführen entbindet nicht von eigener Kreativität. Die große und weitreichende Unterstützung, die wir in unserem Engagement erfahren, sind wie ein Geländer, das Halt gibt. In den aktivsten Phasen unseres Weges erleben wir den Segen dessen, der uns zu solchem Handeln ermuntert, real und handgreiflich. Über eigenen Fragen und Befindlichkeiten entdecken wir uns geborgen unter einem großen, unsichtbaren Schirm. Wir erfahren eine Freude, die wir hier und immer wieder mit allen Mitarbeitenden und Mithelfenden so gerne teilen möchten – eben auch mit und durch diese nüchternen Zeilen.
Zweimal führte uns in diesem Jahr der Weg nach Rumänien. Ende Mai und Anfang Oktober war jeweils der Transporter geladen und alles vorbereitet. Im Frühjahr stand der reguläre Termin und im Herbst fand das 200-jährige Jubiläum der Gemeindegründung in Temeswar statt. „Das kann auf keinen Fall ohne Euch passieren!“, so lud uns Pastor Kovacs schon im vorigen Oktober dazu ein. „Nun, was kann man machen?“, waren oft Frau Biliescus Worte, einer über 90 jährigen Dame, die wir vor vielen Jahren in Temeswar besuchten. Ihre Worte kamen uns bei der Einladung in den Sinn - die Freude auf das Ereignis brach sich Bahn und wir gingen wieder zweimal auf Reisen. Einfacher war es auch, so die benötigten und angefragten Hilfsgüter zu transportieren. Einen Generator, Fahrräder, Gehböcke und Rollstühle, Wohnzimmer- und Nachtstühle, Lebensmittel und Matratzen, Rasenmäher und Hygieneartikel, Schuhe, Zelte und Bälle, eine Tischtennisplatte und eine Projektionswand, die Aufzählung der Ladungsgüter ließe sich noch weiter fortsetzen. Wir staunen immer wieder selber, dass und wie sich eines zum anderen reiht und die Autos füllt, gleichsam einem Puzzle.
Früh am Morgen starten wir. Anders als in den vergangenen Jahren nehmen wir in Ungarn den letzten Grenzübergang nördlicher als gewohnt. Die erste Station heißt Satu Nou und liegt zwei Autostunden nördlich von Temeswar. Da wir beim dortigen Pastor oder andernorts aus Platzgründen nicht schlafen können, nächtigen wir in einem wenige Kilometer vorher auf dem Weg liegenden, einfachen Hotel. Beim Abendessen im Restaurant des Ortes treffen wir uns mit Pastor Deak und seiner Frau. Sie fragen nach der Reise und schon bald kreisen die Gespräche um seine Arbeit und den kommenden Tag. Den wollen wir mit ihm in Satu Nou verbringen.
Nach dem Frühstück im Hotel treffen wir uns im Pfarrhaus und laden die für dort bestimmten Dinge aus. Inkontinenzartikel, Lebensmittel und Süßigkeiten für die Ferienlager oder Weihnachten, Zelte, Bälle und ein Volleyballnetz für die Sommerfreizeit mit etwa vierzig Kindern, eine Tischtennisplatte mit Zubehör und einiges mehr bleiben hier. Nach einer kurzen Gesprächsrunde, seine Sozialarbeit betreffend, brechen wir zu Besuchen im Dorf auf.
Bei Tibi, einem älteren Herren, waren wir schon einige Male. Nach unserem ersten Besuch im Herbst 2023 wurde dort ein Brunnen gebohrt, damit sein Wasser nicht mehr gekauft werden muss. Seinen Wohnraum renovierten Gemeindeglieder und der neue Ofen wärmt hervorragend, ohne den Raum weiterhin zu schwärzen. Wie glücklich er darüber ist, davon kann er nicht oft genug berichten. Ebenso ist auch immer wieder Thema, dass wir im Frühjahr seinen defekten Lichtschalter gewechselt hatten und sich so das Licht ganz leicht einschalten lässt. Was für uns nicht erwähnenswert ist, treibt ihm aus Dankbarkeit die Tränen ins Gesicht – auch noch nach einem halben Jahr. Das beschämt uns. Wir verabschieden uns und besuchen das Ehepaar Erdö.
Beide, kurz über die Siebzig, bewohnen ein kleines Haus. Wir erfuhren vorher, dass der Mann krank ist und nicht mehr aus dem Bett heraus kommt. Einen Rollstuhl haben wir deshalb dabei. Beim Betreten des kleinen Hauses ist ihre soziale Situation schnell erfasst. Alles kommt komprimiert auf uns zu. Seine Operationen und weitere Krankheiten fesseln ihn ans Bett. Er erzählt von seiner Arbeit als einstiger Eisengießer. Die Frau, die sich nun Tag und Nacht um ihn kümmert, war in einer Möbelfabrik tätig, ständig von giftigen Dämpfen und Stäuben umgeben, aber es geht noch, meint sie. Nie hatten sie in ihrem Leben um etwas gebeten sondern immer anderen geholfen. Doch seit 16 Jahren tragen sie ihr ganzes Geld zu den Ärzten, so hören wir von ihr. Wir fragen, ob wir noch irgendwie helfen können.
Nichts bleibt ihnen, als das kaputte Dach – nun erst bemerken wir die fehlenden Putzflächen über dem Bett und später in den anderen Räumen. Warum sollen sie die dunklen Räume renovieren, wenn die Löcher im Dach immer größer werden, fragt sie unter Tränen. Wir spüren, dass sich alles wie eine eiserne Kette um sie gelegt hat, aus der es kein Entrinnen gab. Immer wieder entschuldigt sie sich, das angesprochen zu haben. Wir versprechen zu helfen. Gerade für Erstreisende unserer Gruppe sind solche Wahrnehmungen und Erlebnisse einprägsam. Während des Schreibens dieser Zeilen stehen dort Männer auf dem Dach und wechseln Holz und Ziegeln. Pastor Deak organisierte und besorgte alles, dank der Spendengelder die wir ihm dafür übergeben können. Medikamente, Lebensmittel und Feuerholz wird er im Winter für die Beiden und in weiteren, ähnlich schwierigen Fällen, besorgen und bezahlen können. Beides gehört zusammen – seine Bereitschaft und Geld. Ersteres bringt er von Herzen auf und für Letzteres können wir nach Möglichkeiten sorgen. Was es im Einzelnen für die Adressaten bedeutet? Es beginnt damit, so beschriebene Ketten abzunehmen.
Andrea, die Frau des Pastors, hat in der Küche gewirbelt und eigens Angebautes zu Köstlichkeiten verarbeitet. Nach dem Essen müssen wir uns verabschieden. Freundschaften sind in diesem Ort gewachsen, unabhängig von allem Materiellen. Wir wissen uns verbunden und können einander vertrauen.
Unser Auto setzt sich in Richtung Temeswar in Bewegung. Mit Pastor Kovacs, seiner Familie und der Gemeinde dort verbindet uns schon viele Jahre eine solche Freundschaft. Entsprechend herzlich ist die Begrüßung unter Wahrung längst geprägter Rituale. Sofort fühlt sich jeder wie zu Hause, selbst Erstreisende erleben das so. Erst im Februar musste sich der Pastor einer größeren Herzoperation stellen. Um allen Komplikationen vorzubeugen war es auf Anraten des behandelnden Arztes besser, höherwertige Materialien für die Operation zu verwenden, die jedoch selber zu zahlen wären. Einen Teil konnten wir dazu beitragen. Es waren Tage des Bangens und Betens, insbesondere als noch Komplikationen auftraten. Doch, Gott sei Dank, hat sich alles zum Guten gewendet und die Genesung schritt voran. Nur langsam konnte er dann bei unserem Besuch Ende Mai seine Treppe hoch steigen. Nach und nach stabilisierte sich sein Zustand und er kam wieder zu Kräften.
Für uns bleibt in Temeswar immer etwas Zeit, um die Stadt zu erkunden. Im Frühjahr wählten wir dazu erstmalig eine Fahrt mit dem Schiff auf der Bega. Der Fluss durchschneidet die Stadt. Wir beginnen die Fahrt hinter der Kathedrale und fahren beidseitig bis an das jeweilig andere Ende. Es kostet nur einen ganz geringen Betrag, sodass Einheimische das Boot als Nahverkehrsmittel wählen.
Eine Dame aus der Gemeinde feiert am nächsten Tag ihren 84. Geburtstag. Natürlich begleiten wir den Pastor und Frau Iovanka aus dem Kirchenvorstand gern, um sie zu besuchen. Der Sohn bittet uns herein und groß ist die Freude seiner Mutter. Sie bekommt kaum noch Besuche, da schon viele ihrer Bekannten verstorben sind. Eine Nachbarin brachte jede Menge kulinarischer Leckerbissen und der Sohn eine Torte. Der Höhepunkt war, dass sie selber die beiden Zahlenkerzen anzünden konnte. Wir spüren und erleben, wie wichtig solche Besuche sind. Sie helfen im Alleinsein in dieser großen Stadt und verhelfen zu einer höchst willkommenen Abwechslung in einem von Beschwerden und Beschwernissen geprägten Alltag.
Im Herbst ist der Pastor gesundheitlich im Wesentlichen wieder fit und wirkt im Blick auf die große Feierlichkeit ziemlich angespannt. Vieles ist zu organisieren. Auf dem Altar steht das gemeinsame Gastgeschenk unserer Kirchgemeinde und der Diakonie Mitteldeutschlands. Es ist eine große Kerze auf geschmiedetem Leuchter. Die Kerze zieren eine große Lutherrose und ein Gruß zum Jubiläum mit den Jahreszahlen. Vertreter aus Kirche und Politik von Temeswar bis Bukarest sind angekündigt. Damit nichts schief läuft managt auch der Bischof mit, was die Sache nicht unbedingt vereinfacht. Doch es soll alles gelingen und so treffen am späten Freitagnachmittag alle Gäste in der Kirche ein.
Verschiedene Chöre und Musiker umrahmen exzellent den Gottesdienst. Die Predigt kommt vom Dekan der Reformierten Kirche, vom Bischof und Pastor Kovacs einige historische Abhandlungen, die sich auf die vor 200 Jahren erfolgte Gemeindegründung aus Evangelischen und Reformierten an dieser Stelle beziehen. Entsprechend dem Anlass waren Vertreter aller Kirchen und Denominationen der Stadt vertreten. Dieser multiethnische und ökumenische Zusammenhalt prägt das Leben Temeswars seit hunderten von Jahren bis heute und ist beispielgebend.
Nach den Grußworten aus Kirche und Politik führt der Weg ins nahe gelegene Hotel zu einem großartigen Empfang. Neben hervorragenden Präparaten aus der Küche und dem Weinkeller ist es ein Abend der herzlichen Begegnung - für uns mit vielen Freunden und Bekannten. Die Zeit reicht nicht aus, um mit allen zu reden. Einige von ihnen treffen wir mit großer Freude seit Langem wieder.
Pastor Kovacs` Schwiegersohn stellt uns dem Pastor der Reformierten Gemeinde vom Mariaplatz vor. Dort, von wo aus einst die Revolution Rumäniens begann, hat heute eine Gemeinde mit vielen jungen Leuten ihre Heimat. Davon ist uns bereits bekannt, dass sie sehr lebendig ihren Glauben leben. Der Pastor spricht darüber, dass sie sich seit einiger Zeit bemühen, sich auch sozial zu engagieren. Dazu hatten wir sie bereits ermutigt und sie berichten davon. Nun sehen sie eine bekannte und kinderreiche Familie vor sich, unweit von Temeswar. Deren Haus weist schwerwiegende bauliche Mängel am Dach und der gesamten Bausubstanz auf. Gerne wollen sie helfen, doch eigene Mittel stehen nur begrenzt zur Verfügung. Wir entscheiden uns für ein weiteres Gespräch am nächsten Tag, um Details zu erfahren.
Den Abend lassen wir in gemütlicher Runde im Pfarrhaus ausklingen. Die Erleichterung des Pastorenehepaares ist deutlich zu spüren. Es war eine Feier, die von Dankbarkeit und Zusammenhalt Zeugnis gab und allen in sehr schöner Erinnerung bleiben wird.
Pünktlich klingelt am nächsten Morgen der Schwiegersohn. Wir hören von der unbedingten Absicht der jungen Leute, ihre Kraft und Aktivitäten auch Hilfsbedürftigen zukommen zu lassen. Bilder von der betreffenden Familie und ihrem Umfeld im Dorf Parta zeugen von der Notwendigkeit, dieses Haus als Heim für die Familie zu erhalten. Zerbrochene Fenster und Türscheiben, durchweg gerissene Fassaden- und Giebelmauern, Absenkungen im Fundamentbereich, ein defektes Dach und fehlende Rinnen verdeutlichen einen enormen Reparaturstau. Uns gefällt es, junge Leute im Land zu finden, denen die Probleme Bedürftiger nicht egal sind. Neben einer Finanzspritze für akute Dachreparaturen bis zum Winter vereinbaren wir, uns im nächsten Jahr mit einer Gruppe von Helfenden der Gemeinde zu treffen. Sie suchen Ideen und Ratschläge, wie sie ihr Engagement real und aktiv umsetzen können. Wir sind gerne bereit, uns diesbezüglich mit ihnen zu treffen.
Es bleibt heute Zeit, sich im Memorial, der Gedenkstädte der Revolution in Rumänien, umzuschauen. Eindrücklich und anschaulich sind die einzelnen Etappen dargestellt. Ein Film nimmt direkt in die Zeit mit und verdeutlicht die Brutalität der Machthaber und anderer, die meinten gewaltsam alles zerstören und um sich schießen zu können. Über tausend Opfer, vom Kleinkind bis zu den Alten, sind bis heute zu betrauern und haben Familien zerstört oder zerrissen. Vieles unterscheidet sich gewaltig von eigens Erlebtem in dieser Zeit.
Im Pfarrhaus zurückgekehrt, bereiten wir den Sonntagsgottesdienst mit Pastor Kovacs vor, denn die Gemeinde feiert das Erntedankfest. Einer der Erstreisenden ist unser Ingerlebener Pfarrer im Ruhestand. Er erklärte sich gern bereit die Predigt zu übernehmen. Die ist vorbereitet, er allerdings nicht darauf, dieselbe erstmalig in seinem Leben von einer Kanzel aus zu halten. Das deutet niemals auf die Position eines Predigers weit über den Köpfen der Gemeinde hin, sondern dient der besseren Akustik und Verständlichkeit seiner Worte in einer Kirche. Doch auch Tradition spielt eine Rolle und so ist es eben in Temeswar. Nicht der territoriale Standpunkt auf einer Kanzel, sondern der, des von ehrlichem Herzen kommende, des Predigers und seiner klaren Botschaft sprechen die Anwesenden an.
Solches bekunden sie auch im anschließenden Beisammensein mit der Gemeinde bei Kaffee und Kuchen. Die Gemeinde drückt ebenfalls eine anstehende Reparatur des Pfarrhausdaches. Dort drohen sich Schäden am Holz durch eindringende Nässe auszuweiten. Auch dafür können wir einen kleinen Beitrag leisten und übergeben das Geld gerne dem Gemeindevorstand. Uns liegt daran, dass das Dach, unter dem wir seit vielen Jahren so herzliche Aufnahme finden und nächtigen können, in Ordnung kommt. Wir erfreuen uns an der „Schwiegermuttersuppe“, die sie uns vorbereitet hatte, bevor wir uns verabschieden, um von Neuem aufzubrechen.
Im Frühjahr führt uns der Weg über Lugoj, wo wir Alexandru, einen langjährigen Freund aus Hunedoara, einladen und reisen zwei Stunden in Richtung der südlichen Grenze Rumäniens. Eine Pension in Baile Herkulane, zu Deutsch „Herkulesbad“, wird für drei Nächte unsere Unterkunft. Nach Jahren des Bauens bleibt jetzt endlich einmal Zeit, der Donau als Grenzfluss einen Besuch abstatten. Alexandru, der uns regelmäßig und treu bei allen Bauaufgaben aktiv und immer selbstlos unterstützt hat, nahm mit großer Begeisterung unsere Einladung an, diese Tage mit uns zu verbringen.
Herkulesbad ist bekannt für seine warmen Solequellen und war einst Anlaufpunkt für Kaiser, Könige und andere Hochgestellten aus dem In- und Ausland. Vom damaligen Glanz des Ortes und seiner imposanten Gebäude ist wenig übrig geblieben. Verrostete Blechdächer, zusammenfallende Gemäuer und daher abgesperrte Wege und Straßen bieten alles andere als einen erholsamen An- und Ausblick auf die im malerischen Gebirgstal sich hin schlängelnde Stadt. Eines der Gebäude beherbergt wieder oder noch eine Art Sanatorium für selbst zahlende, kurende Gäste, die im ebenfalls sanierten Hotel „König Ferdinand“ unterkommen. Ein als Museum deklariertes Gebäude zeigt noch Baderäume, in denen von Kaiserin Sissi und ihrem Gatten über Künstler bis hin zu Ceausescu sowie viele andere Größen gesundheitliche Genesung im warmen Solewasser erfuhren oder erhofften.
Eine Fahrt auf der Donau bei herrlichem Frühlingswetter wird zum großen Vergnügen und wir erhalten viele Informationen über die Historie dieses Landstriches und seiner Bevölkerung. Wir besuchen anliegende Städte und ein riesiges Wasserkraftwerk, das Rumänien und das angrenzende Serbien jeweils hälftig gebaut haben und betreiben. Alexandru ist von allem tief berührt und bedankt sich immer wieder. Noch nie hatte er es bisher geschafft, hierher zu kommen und es wird ein eindrückliches Erlebnis bleiben. Er ist uns in den vielen Jahren ein guter Freund geworden, der immer vertrauensvoll agiert und mitmacht, wenn es darauf ankommt. Klar ist auch, und das soll an dieser Stelle betont sein, dass solche Art von Unternehmungen privat von uns finanziert und dadurch keine Spendengelder vereinnahmt und genutzt werden. Alexandru steigt, in Lugoj zurück, in sein Taxi um, mit dem er sein Geld verdient.
Wir kommen kurze Zeit später in Bodo an, unserer letzten Station. Nach den Tagen in Herkulesbad deutet ein bereits hergestellter Graben auf anstehende Arbeit für uns hin. Doch erstmal gibt es Kaffee und Kuchen und wir lernen die neue Pastorin kennen. Nachdem das junge Pastorenehepaar andernorts zum Dienst gerufen wurde, nahm sie vor einigen Monaten in der Gemeinde den Dienst auf. Sie wohnt mit der Familie in Temeswar, was in Rumänien absolut keine Entfernung bedeutet. Die Gemeinde ist von ihrem Engagement begeistert. Sie sammelt Kinder und Jugendliche und kennt schon viele Leute, auch durch Hausbesuche mit Annamaria - unserer dortigen Partnerin und im Gemeindevorstand führend tätig. Die Pastorin spricht sehr gutes Deutsch, so dass auch alle etwas verstehen. Sie ist begeistert von den guten Konditionen, die für die Gemeinde in den vergangenen Jahren mit der Sanierung des Gemeindehauses entstanden sind.
Der nächste Tag ist wieder heiß, nicht nur wegen der Arbeit. Im letzten Winter sorgte mehrmaliger Stromausfall in der Region für Probleme. Aus diesem Grund kamen wir mit einem Notstromaggregat nach Bodo. Es soll im Nebengebäude stationiert werden, wo neben Feuerholz und Gartengeräten der für das Dorf nötige Leichenwagen untergebracht ist. Wir nutzen den kurz vor unserer Ankunft mühsam hergestellten Graben, um neben dem Kabel für den Notstrom, über ein zweites die kleine Scheune mit Licht und Steckdosen zu versorgen. Die nötigen Materialien finden sich in unserem Gepäck. Alle sind gut beschäftigt, am Abend ist die Arbeit erledigt und selbst der Graben ist verfüllt.
Der Besuch im Herbst verläuft ähnlich, nur ohne die Arbeit. Daher verbringen wir auch nur zwei Nächte im Pfarrhaus, wo wir am Sonntagnachmittag anreisen. Vor der Reise erfuhren wir, dass im Dorf dringend zwei Nachtstühle benötigt werden. Wenn es schnell gehen soll wird es auch manchmal etwas schwierig, doch dann fanden sie sich und waren Teil der Ladung. Jede Menge Hygieneartikel, insbesondere für Bettlägerige, füllten neben Lebensmitteln, Schuhen und Winterjacken das Auto. Fahrräder, Süßigkeiten und Dinge des täglichen Bedarfs warten nun darauf, bis Weihnachten verteilt zu werden.
Für den Abend ist ein gemeinsames Essen mit der Pastorin und einigen Leuten des Gemeindevorstandes im Pfarrhaus organisiert. Es gibt Gelegenheit zum Gespräch und Austausch. Das Ferienlager fand im Nachbardorf statt. Dort stehen von außen zugängliche Toiletten zur Verfügung, die wir in den letzten Jahren gemeinsam mit der Diakonie (Aktion „Hoffnung für Osteuropa“) finanziert hatten. Diese Freizeiten sind Höhepunkte für viele Kinder der Dörfer und finden unter Mitwirkung der Eltern gemeinschaftlich und gemeindeübergreifend statt. Mehr als vierzig Kinder und Jugendliche waren daran beteiligt, was von allen ein großes Engagement erforderte.
Für den nächsten Tag planen wir an diesem Abend noch einige Besuche. Alin, der gelähmte Mittvierziger, war bei unserem Besuch im Mai schon verstorben, ebenso Imre. Beide waren mehrere Jahre bettlägerig und wurden rund um die Uhr von den Eltern bzw. von einer Nachbarin versorgt. Ihnen hatten wir im Frühjahr einen Kondolenzbesuch abgestattet.
Seit einigen Monaten ist ein älterer Herr ernsthaft erkrankt und musste einige Operationen hinnehmen. Er fand sich bisher regelmäßig in der Gemeinde zu allen Veranstaltungen ein. Seine Frau verstarb vor zwei Jahren. Nun kann er das kleine Haus nicht mehr verlassen und begnügt sich mit Sportsendungen im Fernsehen. Gerne hatte er früher Fußball gespielt und alle Sportveranstaltungen interessiert verfolgt. Seine Toilette im Hof bleibt nach der Operation für ihn unerreichbar. Ein Wohnzimmerstuhl ohne Sitzfläche und ein Eimer ersetzen sie in dem engen Wohn- und Schlafraum. Einer der noch mühsam besorgten Nachtstühle wird ihn nach dem Besuch ersetzen. Er ist über den Besuch sichtlich erfreut. Auch der zweite solche Stuhl hat bereits einen Adressaten.
Bei Gigi im Nachbardorf warten wir anscheinend vergeblich, denn niemand ist zu Hause. Er ist noch mit den Kühen unterwegs und das Telefon reagiert nicht. Im Frühjahr hatte er uns stolz seinen Wasseranschluss und das funktionierende Licht vorgeführt. Beide Anschlüsse hatten wir ihm finanziert. Ein Graben mit vorhandener Wasserleitung zeigt an, dass er im Winter das Wasser bereits im Haus haben wird. Als wir gehen wollen, kommt er angerannt. Seine Freude ist riesig und das äußert er auch, immer wieder auf Wasser und Strom hinweisend, was sein Leben nun sehr erleichtert. Er hat bereits eine Ladung Feuerholz bekommen und wird auch im Winter Lebensmittel für sich und den kranken Sohn erhalten. Annamaria versteht es, solche Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren.
Auf dem Rückweg halten wir bei Olga und ihrer Familie. Ihr Mann verdient sich etwas durch Gelegenheitsarbeiten in den Dörfern der Umgebung, wo wir ihn schon mit Schubkarre und Motorsense gesehen hatten. Jetzt ist er zu Hause und ebenso die vier kleinen Kinder, von denen der Größte die erste Klasse einer Förderschule besucht. Dafür hatte sich auch Annamaria eingesetzt, sie ermutigt ihn jetzt bei einigen Hausaufgaben. Mutter und Kinder sind geistig ein wenig gehandicapt. Das ist schnell erfasst und deutet sich auch in der Umgebung des Hauses an. Dieses Haus ist es baulich ebenfalls. Strom und Wasseranschlüsse sind gekappt, ein Resultat der Zahlungsmoral oder –fähigkeit der Vorbewohner. Eine Regelung diesbezüglich erweist sich aufgrund ungeregelter Erblasten fast als unmöglich. Doch sie wollen hier bleiben, ihr ganzes Geld ist in Fenster und andere Dinge investiert. Für den Winter steht ein Generator hinter dem Haus bereit. Wie das mit dem Wasser funktionieren soll, bleibt ungewiss. Im Hof findet sich in mehreren Behältnissen Wäsche im Wasser. Es fällt schwer, sich in solche Lebensumstände hinein zu versetzen. Doch ihre Interessen sollten respektiert und gewahrt bleiben. Annamaria hat die Familie im Blick und unterstützt, wo es möglich ist, auch mit Hygieneartikeln und Lebensmitteln aus dem „Fundus“.
Ihre Eltern warten auf uns zu Hause und verwöhnen uns mit köstlichem, frischem Backwerk und Getränken. Wir kennen sie schon lange und auch sie hatten uns mit ihr schon besucht. Trotz der Rente gehen sie noch immer arbeiten, kümmern sich um den großen Gemüse- und Obstgarten und helfen bei der Honigernte des Sohnes. Den Vater plagen nach der Coronaerkrankung eine Menge von Beschwerden, die bisher keiner der vielen aufgesuchten Ärzte näher zu diagnostizieren vermochte. Ihm fällt es schwer täglich in den kleinen LKW zu steigen um Kies, Holz und andere Baumaterialien zu transportieren, doch zu Hause nur die Zimmerdecke anstarren, das kann er sich nicht vorstellen. Es schmerzt, ihn so zu erleben. Er ist jemand der nie „Nein“ sagen kann, auch wenn es noch so schwer fällt. Dennoch ist die Begegnung herzlich und rückt für einen Moment die Schmerzen in den Hintergrund.
Im Pfarrhaus zurück, erfahren wir von Annamaria Näheres über einen am Giebel geplanten Anbau. Auch mit der Pastorin und einem weiteren Gemeindevorstand hatten wir darüber schon gesprochen. Der große Außenbereich um das Gemeindehaus hat sich unter den Händen der Küsterin Roza in den letzen Jahren gewaltig verändert. Tujas, blühende Rosen und andere Blumen in sorgsam gepflegten Rabatten zeugen von ihrer gärtnerischen Leidenschaft. Gemeindeglieder sorgten für die Beräumung von Bauschutt, abgestorbenen Bäumen und Wurzeln und die Begradigung des Geländes. Alles lädt für größere Veranstaltungen ein, auch für die Freizeiten der Kinder und Jugendlichen, wären da nicht fehlende Toiletten und Waschgelegenheiten, einschließlich einem behindertengerechten Zugang zu denselben. Also, es gibt Pläne und das verstehen wir sehr gut.
Es geht in der Gemeinde um ein gutes Miteinander, generationenübergreifend und auch individuell. Dieses zu fördern, passt in unser Konzept der Schaffung von Konditionen, die solches ermöglichen. Wir treffen in Bodo auf zuverlässige Partner, davon zeugen die Zusammenarbeit der letzten Jahre und die nicht zu übersehenden Ergebnisse. Wir besprechen den Sanitäranbau im Groben und werden weiter in Kontakt sein, wenn es um Details geht. Damit die Kosten im Rahmen bleiben, werden Gemeindeglieder mit eingebunden. Wir wissen darum, dass sich in Rumänien die Preise für Baumaterial mehr als verdoppelt haben, aber gemeinsam sollten die Pläne zu realisieren sein.
Am letzten Abend sind wir bei einem Gemeindevorstand zum Essen eingeladen. Er hatte in der Vergangenheit maßgeblichen Anteil an der Umsetzung der vielen Bauaufgaben und ist Annamarias „rechte Hand“. Viele Schicksalsschläge liegen hinter ihm und seiner Frau. Sie hallen bis heute nach und beeinträchtigen das tägliche Leben, auch wenn ihnen das vordergründig nicht anzumerken ist. Doch die Gastfreundschaft steht ganz obenan und allmählich öffnen sie sich auch ganz persönlich. Es ist ein wirklich angenehmes und bereicherndes Beisammensein. Fröhliches und Nachdenkliches füllt die Gespräche, sie sind bemüht sich nach vorn zu orientieren. Auch hier, wo eine materielle Sicherheit gegeben scheint, ist deutlich, dass solches nicht alles ist was trägt und ausfüllt. An dieser Stelle spielt die Arbeit und die Botschaft der Gemeinde eine wesentliche Rolle und ist Aufgabe. Für uns sind die Aufgaben auch klar umrissen und wir verabschieden uns an diesem Abend persönlich von allen, ein letztes Mal in diesem Jahr.
Bis zum Winter wird eine Gruppe kräftiger Leute noch für den letzten Zaun als Grundstücksbegrenzung des Geländes um das Gemeindehaus sorgen. Mit der Sanierung in den vergangenen Jahren entstand ein Zusammenhalt entsprechender Leute, die gemeinsam anpacken und etwas bewegen. Wenn wir dazu einen kleinen, nicht nur materiellen Beitrag leisten konnten und können, freut uns das sehr.
Wir packen unsere Sachen und nehmen neue Pläne mit nach Hause. Dieses Mal schließen wir alles ab, denn die anderen sind an ihren Arbeitsplätzen. Den Schlüssel bringen wir zu Roza. Wegen ihrer starken Erkältung nimmt sie den Mundschutz nur für das letzte Foto ab.
Während der Fahrt bleibt Zeit, die Tage Revue passieren zu lassen. Obwohl uns die Stationen 1400 Kilometer von unserem Zuhause trennen, obwohl manche Mentalitäten, historisch und kulturell bedingt, sich von den unsrigen unterscheiden, bleibt festzustellen, dass uns wesentlich mehr verbindet, als wir beschreiben können. Wo Menschen sich engagieren, wo es eine gemeinsame Basis gibt und guten Willen, dort keimt Hoffnung und wächst gegenseitiges Vertrauen.
So, wie ein Haus verschiedene Räume mit jeweils eigenem Charakter und Bestimmung hat, stellt es doch ein Gebäude dar. So, wie ein bunter Blumenstrauß aus vielen einzelnen, verschiedenen Blumen und Farben besteht und in seiner Komposition als Ganzes den oder die Adressaten erfreut, entdecken wir gemeinschaftliches Miteinander durch gegenseitigen Respekt, Anerkennung und Toleranz. Uns hilft dabei die Basis des Evangeliums, die uns als festes Fundament dient, das über eigene Unzulänglichkeiten hinweg hilft, Brücken baut und immer zu neuer Hoffnung aufhilft.
Roll- und Nachtstühle, Bälle und Tischtennisplatte, Generatoren und Fahrräder, alles Transportierte ist genauso wichtig wie die Begegnungen und Gespräche miteinander. Mögen reparierte Dächer davon zeugen, dass uns etwas daran liegt, nicht immer allen Widrigkeiten schutzlos ausgeliefert und preisgegeben zu sein – nicht nur bei uns selber, sondern auch dort wo es uns möglich ist, zu solchen zu verhelfen. Dies meinen wir im eigentlichen, wie auch im auf das Leben übertragenen Sinn. Uns erfüllt es mit Freude und Dankbarkeit diesen Dienst tun zu dürfen und dabei von Ihnen und vielen Mithelfenden selber Unterstützung zu erfahren.
Dafür danken wir Ihnen allen von Herzen und grüßen Sie im Namen unserer Freunde und Partner in Rumänien.
Albrecht Feige, AK Rumänien